Interpretation "Biedermann und die Brandstifter" von Max Frisch
Lehrstück ohne Lehre
Max Frischs Biedermann-Drama beruht wie viele seiner Werke auf einem bereits im Tagebuch 1946–1949 niedergelegten ersten Entwurf. Im Auftrag des Bayerischen Rundfunks konzipierte der Schriftsteller 1952 eine Hörspielfassung, die 1953 erstmals gesendet wurde. Als er vom Züricher Schauspielhaus 1957 zu einem neuen Stück aufgefordert wird, arbeitet Frisch das Hörspiel für das Theater um.
Die Parabel von Biedermann steht für die unheilvolle Fähigkeit des Menschen, eine erkennbar drohende Gefahr auszublenden und so dem Untergang mit offenen Augen entgegenzugehen. Der Fabrikant lernt nichts aus seinen Beobachtungen, sondern verdrängt stattdessen aus Liebenswürdigkeit und Trägheit seine Einsichten. Als leuchtendes Beispiel für feigen Konformismus ist die Figur des Biedermann vielfältig interpretiert worden. Einige begreifen die Parabel als Erklärungsversuch für den Aufstieg der Nationalsozialisten in Deutschland, andere als Warnung vor dem Kommunismus. Insbesondere diesen letzten Interpretationsansatz weist Frisch selbst jedoch stets vehement zurück. Der Untertitel Lehrstück ohne Lehre verweist auf Bertolt Brechts episches Theater, überhaupt zeigen der Einsatz des aus der antiken Tragödie entlehnten Chores und verschiedene Kommentierungselemente die für das moderne Theater der 1950er und 1960er Jahre typische Absicht, den Zuschauer zur kritischen Stellungnahme aufzufordern. Allerdings distanziert sich Frisch mit dem Untertitel von der Brechtschen Überzeugung, ein Theaterstück könne gesellschaftliche Veränderungen bewirken.