Biographie Jean Paul (Seite 2)

Wozu sich passenderweise anfügen lässt, dass Goethe niemals merkt, mit wem er es bei Jean Paul zu tun hat, nämlich mit dem einzigen Schriftsteller Deutschlands, der ihm zumindest ebenbürtig ist; wohingegen Jean Paul einmal anmerkt, er habe vor Goethe den einzigen Vorzug, dass er dessen Werke zu schätzen weiß.

Was Jean Paul jedoch nicht hat, ist ein Programm. Die Fähigkeit, das existentielle Bedürfnis, dem Leben einen allgemeinen Sinn, eine alles verbindende Harmonie zu unterstellen, die sich wenn nicht versöhnend, so doch schützend über Mensch, Welt und Gott wölbt, ist ihm abhanden gekommen, ist gleichsam zerronnen in einen heillosen Mangel an Vollkommenheit. Den Tag, an dem dies geschah, bezeichnet er als den wichtigsten in seinem Leben; es ist – mit Gewissheit lässt es sich nicht sagen – der 15. November 1790, der Tag seiner Todesvision.

Eine Zeitgenossin berichtet: "Einst tritt seine Speisewirtin Christiane Stumpf zu ihm ins Zimmer und findet ihn bleich, mit verstörter Miene am Fenster stehen. Sie ruft ihn an, aber erst beim dritten Male erwacht er wie aus einem hypnotischen Schlaf und dankt der Frau mit aufgehobenen Händen, daß sie ihn durch ihr Dazwischentreten vor dem Ausbruch des Wahnsinns gerettet habe."

Und aus der 1791/92 entstandenen Unsichtbaren Loge sei eine längere Passage zitiert: "Ich habe mit dem Tode geredet, und er hat mich versichert, es gebe weiter nichts als ihn [...]." Und weiter: "Das Kind begreift keinen Tod, jede Minute seines spielenden Daseins stellet sich mit ihrem Flimmern vor sein kleines Grab. Geschäft- und Freudenmenschen begreifen ihn ebensowenig, und es ist unbegreiflich, mit welcher Kälte tausend Menschen sagen können: das Leben ist kurz. Es ist unbegreiflich, daß man dem betäubten Haufen, dessen Reden artikuliertes Schnarchen ist, das dicke Augenlid nicht aufziehen kann, wenn man von ihm verlangt: sieh doch durch deine paar Lebensjahre hindurch bis ans Bett, worin du erliegst – sieh dich mit der hängenden plumpen Toten-Hand, mit dem bergigen Kranken-Gesicht, mit dem weißen Marmor-Auge, höre in deine jetzige Stunde die zankenden Phantasien der letzten Nacht herüber – diese große Nacht, die immer auf dich zuschreitet und die in jeder Stunde eine Stunde zurücklegt und dich Ephemere, du magst dich nun im Strahl der Abendsonne oder in dem der Abend-Dämmerung herumschwingen, gewiß niederschlägt. Aber die beiden Ewigkeiten türmen sich auf beiden Seiten unserer Erde in die Höhe, und wir kriechen und graben in unserem tiefen Hohlweg fort, dumm, blind, taub, käuend, zappelnd, ohne einen größern Gang zu sehen, als den wir mit Käferköpfen in unsern Kot ackern [...].