Interpretation "Simplicissimus" von Hans Jakob Christoph von Grimmelshausen

1668 erscheint bei dem Nürnberger Verleger Wolff Eberhard Felßecker der Abentheuerliche Simplicissimus Teutsch. Bereits im Frühjahr 1669 wird die zweite Auflage in Druck gegeben, und noch im gleichen Jahr kommt in Frankfurt ein Raubdruck heraus, in dem Grimmelshausens Dialekt abgeschwächt und die Rechtschreibung verändert worden ist. Felßecker veröffentlicht daraufhin im Herbst 1669 eine vierte Auflage, die die Frankfurter Korrekturen übernimmt. Eine fünfte Auflage (1671), der von Scholte so bezeichnete Barock-Simplicissimus, weist neben drei weiteren Continuationen zahlreiche, den rhetorischen Normen der Zeit entsprechende 'Verbesserungen' auf, die, nicht nur weil sie von Grimmelshausen nicht autorisiert waren, verständlicherweise dessen Zorn erregen. Eine sechste Auflage erscheint dann noch 1672.

Es ist Grimmelshausens Sprache, seine Ironie und sein abgründiger Humor, die den Simplicissimus zu einem der, wie Clemens Brentano meint, "vortrefflichsten" Bücher machen. Bunt, roh, wild, derb, niemals gekünstelt oder gar schlüpfrig, tritt das Leben in bildhafter Plastizität aus ihm hervor, das Leben des Krieges allerdings, so wie Grimmelshausen es wohl selbst unzählige Male erfahren hat: "Indessen hatten die andern Soldaten die übrigen vier Bauren, so geleckt waren worden, auch unterhanden; die banden sie über einen umgefallenen Baum, mit Händen und Füßen zusammen, so artlich, daß sie (s. v.) den Hindern gerad in die Höhe kehrten, und nachdem sie ihnen die Hosen abgezogen, nahmen sie etliche Klafter Lunden, machten Knöpf daran, und fiedelten ihnen so unsäuberlich durch solchen hindurch, daß der rote Saft hernachgienge."

Simplicius wird Teil dieser Welt. Als Narr, ja sogar im Kalbskostüm erfährt er die Unbarmherzigkeit und Schadenfreude der Mächtigen und ihrer Dienerschaft; als Jäger von Soest und als Soldat erlebt er die Widerwärtigkeiten und Grausamkeiten des Krieges, die ständig wiederkehrende Abfolge von Raub, Plünderung, Verwüstung und Mord, die die Soldateska über das Land bringt. Die Welt ist verkehrt, will sagen, jede Ordnung ist außer Kraft gesetzt, es regieren Gesetzlosigkeit, Willkür, Torheiten und Verbrechen. Das Leben ist Chaos, ohne Sinn, ohne Ziel. Dass es sich bei diesem von Grimmelshausen so bezeichneten 'Teutschen Krieg' um einen Glaubenskrieg handelt, erfährt der Leser nicht, ebenso wenig, dass Großmächte – Habsburg, Frankreich, Schweden – um die Vorherrschaft in Deutschland kämpfen.

Der Raum, in dem die Geschehnisse sich ereignen, ist Niemandsland, ohne feste Ordnung, ohne feste Fronten, die Kriegsparteien operieren mit kleinen und kleinsten Einheiten, die, je nach Lage, auseinanderfallen und neu formiert werden. Man wechselt von einem Lager ins andere oder bildet, wie Simplicius als Jäger von Soest, eine eigene Partei. Wohin die Reise des Simplicius geht, erfährt der Leser bis zum Ende des vierten Buches nicht.

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