Ungekürztes Werk "Galgenlieder" von Christian Morgenstern

Christian Morgenstern

Galgenlieder

Galgenlieder

Palmström

Palma Kunkel

Der Gingganz

Vier Teufelslegendchen

Zeitgedichte

Aus dem Anzeigenteil einer Tageszeitung des Jahres 2407


Galgenlieder

Versuch einer Einleitung zur dritten beziehungsweise ersten Auflage

Wie die Galgenlieder entstanden

Dem Kinde im Manne

Im echten Manne ist ein Kind versteckt: das will spielen. (Nietzsche)

Versuch einer Einleitung zur dritten

beziehungsweise ersten Auflage

Aufgefordert vom Verfasser, eine neue Einleitung zu schreiben oder die alte – meines seligen Jeremias – zu belassen, verbind ich beides, insofern als ich zum er­sten festgestellt zu haben wissen möchte, daß dieses Buch nunmehr nicht nur zum dritten Male in einem ersten Teile seines Inhalts, sondern zugleich zum an­dern mit einem zweiten Teile seines Inhalts zum ersten Male, also einerseits zum dritten, andrerseits zum ersten Male seine Reise in die Umwelt antritt, zum zweiten aber, daß auch im gedachten ersten Teile nicht alles wie beim ersten und beim zweiten Male, son­dern teils in Kleinigkeiten überfeilt, teils überlegter angeordnet, teils auch um ein Dutzend minder reifer Beeren ausgezwickt gedruckt, worüber nicht zu larmoyieren, sondern sich zu freuen jedem Weisen leicht wird, worden ist.

Von der Verfertigung der ersten Gesänge an zweiter Stelle, jetzt vorerst an erster von den zweiten – als einer Art Ausbauch der ursprünglichen Leyer, schon im ersten Teile seinerzeit durch etliches unleugbar annunziert. Es haben diese zweiten Lieder mit dem Gal­gen wohl so wenig mehr gemein als wie der Gal­gen­hügel dieser Zeit mit dem von einstmals. Der Galgen ist hinweg, der Hügel ist geblieben. So auch hier. Zu­erst war am Galgenhügel der Galgen das Wesenzielle, jetzt ist es der Hügel. Und auf dem Hügel steht kein Holz mehr heut, es sei ein Baumstrunk denn, auf dem der GINGGANZ sinnend spinnend Bein mit Beine kreuzt …

Um ihn, vor ihm bewegt sich (nach wie vor und wie auch sonst) die Zeit, reiht Tag an Tag sich, reiht Sym­ptom sich an Symptom, gleich neuem Leben spros­send aus Ruinen.

Und solch ein Symptom – und damit spring ich be­treffs des ersten Teils in den der ersten und zweiten Auflage betreffs des letzteren bereits vorgedruckt ge­wesenen ›Versuch einer Einleitung‹ meines un­vergeß­lichen Mitarbeiters am Reiche deutscher Wissenschaft und Kunst & ihrer Deutung, des Lic. Dr. Jeremias Muel­ler, meines Mannes, zurück – zeitströmiger Entwick­lung wars dann auch, daß eines Tages des hinvergang­nen Jahrhundertendes sich »acht junge Männer, fest entschlossen, dem feindlichen Moment, wo immer, im Sinne der Zeit, diese Zeit, wie jede, als eine Zeit nicht bloß der Bewegung schlechthin, sondern einer sowohl ab- wie aufsteigenden Bewegung, mit zeitweilig dem Ideale unentwegten Fortschritts nur allzu abgekehrter Vorwiegung des ersteren Moments in ihr betrachtet, munteren Sinnes sich entgegenzustellen, die Hand reichten«.

»Ein sonderbarer Kult«, fährt Jeremias fort, »vereinte sie. Zuvörderst wird das Licht verdreht, ein schwarzes Tuch dann aus dem Korb und übern Tisch gezogen, mit Schauderzeichen reich phosphoresziert, und bleich ein einzig Wachs inmitten der Idee des Galgenbergs entnommner freudig-schrecklicher Symbole. Dazu hieß der erste Schuhu: der hing zuhöchst und gab den Klang zum Hauch des Rabenaas, der das Mysterium verwest; der dritte hieß Verreckerle: der bot das Hen­kersmahl; der vierte Veitstanz, zubenannt der Glöck­ner: der zog den Armesünderstrang;

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