Ungekürztes Werk "Galgenlieder" von Christian Morgenstern (Seite 3)

das Nächtliche, die Quadrate des Unsinnlichen über den drei Seiten des Sinnlichen.« »Und der Weg dazu?« fragte der achte. »Das einarmige Kreuz ohne Kopf mit der Basis über dem Winkel«, sagte der siebente. »Also der Galgen!« sagte der vierte. »Esto«, sprach der dritte. Und alle wiederholten: »Esto«, das heißt »Jawohl«.

Und die acht lustigen Könige rafften ihre Gewänder und ließen sich von ihrem Narren hängen. Den Narren aber verschlang alsogleich der Geist der Vergessenheit. –

Betrachten wir den ›Galgenberg‹ als ein Lugaus der Phantasie ins Rings. Im Rings befindet sich noch viel Stummes.

Die Galgenpoesie ist ein Stück Weltanschauung. Es ist die skrupellose Freiheit des Ausgeschalteten, Entmaterialisierten, die sich in ihr ausspricht. Man weiß, was ein mulus ist: die beneidenswerte Zwischenstufe zwischen Schul­­bank und Universität. Nun wohl: ein Galgenbruder ist die beneidenswerte Zwischenstufe zwischen Mensch und Universum. Nichts weiter. Man sieht vom Galgenberg die Welt anders an, und man sieht andre Dinge als Andre.

Laß die Moleküle rasen,

was sie auch zusammenknobeln!

Laß das Tüfteln, laß das Hobeln,

heilig halte die Ekstasen!

Galgenberg

Blödem Volke unverständlich

treiben wir des Lebens Spiel.

Gerade das, was unabwendlich,

fruchtet unserm Spott als Ziel.

Magst es Kinder-Rache nennen

an des Daseins tiefem Ernst;

wirst das Leben besser kennen,

wenn du uns verstehen lernst.

Bundeslied der Galgenbrüder

O schauerliche Lebenswirrn,

wir hängen hier am roten Zwirn!

Die Unke unkt, die Spinne spinnt,

und schiefe Scheitel kämmt der Wind.

O Greule, Greule, wüste Greule!

»Du bist verflucht!« so sagt die Eule.

Der Sterne Licht am Mond zerbricht.

Doch dich zerbrachs noch immer nicht.

O Greule, Greule, wüste Greule!

Hört ihr den Huf der Silbergäule?

Es schreit der Kauz: pardauz! pardauz!

da tauts, da grauts, da brauts, da blauts!

Galgenbruders Lied

an Sophie, die Henkersmaid

Sophie, mein Henkersmädel,

komm, küsse mir den Schädel!

Zwar ist mein Mund

ein schwarzer Schlund –

doch du bist gut und edel!

Sophie, mein Henkersmädel,

komm, streichle mir den Schädel!

Zwar ist mein Haupt

des Haars beraubt –

doch du bist gut und edel!

Sophie, mein Henkersmädel,

komm, schau mir in den Schädel!

Die Augen zwar,

sie fraß der Aar –

doch du bist gut und edel!

Nein!

Pfeift der Sturm?

Keift ein Wurm?

Heulen

Eulen

hoch vom Turm?

Nein!

Es ist des Galgenstrickes

dickes

Ende, welches ächzte,

gleich als ob

im Galopp

eine müdgehetzte Mähre

nach dem nächsten Brunnen lechzte

(der vielleicht noch ferne wäre).

Das Gebet

Die Rehlein beten zur Nacht,

hab acht!

Halb neun!

Halb zehn!

Halb elf!

Halb zwölf!

Zwölf!

Die Rehlein beten zur Nacht,

hab acht!

Sie falten die kleinen Zehlein,

die Rehlein.

file Lalula

Der Zwölf-Elf

Der Zwölf-Elf hebt die linke Hand:

Da schlägt es Mitternacht im Land.

Es lauscht der Teich mit offnem Mund.

Ganz leise heult der Schluchtenhund.

Die Dommel reckt sich auf im Rohr.

Der Moosfrosch lugt aus seinem Moor.

Der Schneck horcht auf in seinem Haus;

desgleichen die Kartoffelmaus.

Das Irrlicht selbst macht Halt und Rast

auf einem windgebrochnen Ast.

Sophie, die Maid, hat ein Gesicht:

Das Mondschaf geht zum Hochgericht.

Die Galgenbrüder wehn im Wind.

Im fernen Dorfe schreit ein Kind.

Zwei Maulwürf küssen sich zur Stund

als Neuvermählte auf den Mund.

Hingegen tief im finstern Wald

ein Nachtmahr seine Fäuste ballt:

Dieweil ein später Wanderstrumpf

sich nicht verlief in Teich und Sumpf.

Der Rabe Ralf ruft schaurig: »Kra!

Das End ist da! Das End ist da!«

Der Zwölf-Elf senkt die linke Hand:

Und wieder schläft das ganze Land.

Das Mondschaf

Das Mondschaf steht auf weiter Flur.

Es harrt und harrt der großen Schur.

  Das Mondschaf.

Das Mondschaf

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