Interpretation "Deutschland. Ein Wintermärchen" von Heinrich Heine

Im Oktober 1843 reist Heine nach seiner Übersiedelung nach Paris (1831) zum ersten Mal nach Deutschland. Von Hamburg, wo er seine Mutter wiedersieht, geht es über Hannover, Bückeburg, Minden, Paderborn, den Teutoburger Wald, Hagen, Köln und Aachen zurück nach Paris – im seinem von diese Reise reflektierenden Versepos Deutschland. Ein Wintermärchen werden die Stationen in umgekehrter Reihenfolge durchlaufen.

Die Arbeit Heines am Wintermärchen fällt in das Jahr 1844. Seinem Freund und Verleger Campe in Hamburg schreibt er dazu: "Meine Gedichte, die neuen, sind ein ganz neues Genre, versifizierte Reisebilder, und werden eine höhere Politik atmen als die bekannten politischen Stänkerreime. Aber sorgen Sie frühe für Mittel, etwas vielleicht unter 21 Bogen ohne Zensur zu drucken."

Die höhere Politik hatte sich freilich erst einmal der gemeinen, niederen zu unterwerfen. Nach dem Zensurbeschlussß der Karlsbader Konferenz von 1819 waren Manuskripte von mehr als zwanzig Bogen vorzensurfrei – daher der Wunsch Heines nach einem umfangreicheren Werk. Er denkt daran, den Atta Troll mit in die Publikation aufzunehmen, entscheidet sich dann allerdings dafür, das Wintermärchen zusammen mit den Neuen Gedichten zu veröffentlichen.

Ende September erscheinen die Neuen Gedichte bei Hoffmann und Campe. Bereits am 4. Oktober werden sie in Preußen beschlagnahmt und die übrigen Länder werden angewiesen, das Werk zu verbieten. Am 12. Dezember 1844 ergeht von König Friedrich Wilhelm IV. sogar die Weisung, Heine beim Grenzübertritt zu verhaften.

Ähnlich wie in Atta Troll beschreibt Heine auch die Zielsetzung des Wintermärchens: "Es ist politisch-romantisch und wird der prosaisch-bombastischen Tendenzpoesie hoffentlich den Todesstoß geben." Der Ausgang der Reise durch dieses Deutschland aber ist weit ambivalenter, auch resignativer als das Ende des Atta Troll.

Beschreibt das Epos zunächst parodistisch die vorgefundenen sozialen und ideologischen Verhältnisse, die bedrückende politische und geistige Enge, so wird, je länger die Reise andauert, die Grundhaltung um so hoffnungsloser. Das "neue, bessere Lied" (Caput I), das Heine dichten möchte, ist so leicht nicht zu bewerkstelligen. Auf die Fragen der Mutter, zu welcher Partei, zu welcher Politik er denn mit Überzeugung stehe, folgt nur ausweichendes Schweigen (Caput XX). Das lyrische Ich reagiert seltsam zögerlich, bezieht keine eindeutige Stellung.

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