Literaturepoche Biedermeier
Von Dr. Axel Sanjosé
Noch heute bieten Möbelhäuser in ihren Prospekten und Verkaufsausstellungen ganze Wohnzimmereinrichtungen im »Biedermeier-Stil« an. Diese Erzeugnisse mit Werken der deutschen Literatur in Zusammenhang zu bringen, fällt nicht ganz leicht, zumal das ästhetische Urteil, wollte man eine direkte Analogie zwischen Texten und besagten Kommoden herstellen, verheerend wäre. Und doch ist diese Verbindung nicht zufällig. Die Bezeichnung stammt von einer Parodie auf das Spießbürgertum von Ludwig Eichrodt, der in den Münchener Fliegenden Blättern von 1855–1857 die (fingierten) kreuzbraven Gedichte des schwäbischen Schullehrers Gottlieb Biedermaier und seines Freundes Horatius Treuherz veröffentlichte. Biedermeier verband sich bald mit allem Betulich-Hausbackenen, besonders in bezug auf Wohnkultur und Malerei. Erst nach und nach wurde es zum Schlagwort für die unpolitische Restaurationszeit (1815–1848) und ihr Bürgertum, und schließlich, im Bereich der Literatur, für diejenigen Schriftsteller nach der Romantik, die im Gegensatz zu den revolutionär eingestellten Literaten des Vormärz in ihren Werken keine politische Botschaft vermittelten.
Das abfällige Werturteil, das im Terminus Biedermeier unweigerlich mitklingt, hat wohl nicht unwesentlich dazu geführt, daß die Schriftsteller, die dieser Teil-Epoche (ca. 1830–50) zugeordnet werden, oft pauschal als harmlos, minderwertig, suspekt und jedenfalls uninteressant angesehen werden. Wie ungerecht diese Behandlung ist, wird erst in den letzten Jahren durch ein vermehrtes wissenschaftliches Augenmerk allmählich deutlich gemacht.
Einer, dessen Name fast automatisch mit dem Biedermeier der Beschaulichkeit assoziiert wird, ist Eduard Mörike. Daß er sich – allerdings keineswegs ausschließlich – unspektakulären Themen widmete und sich nicht zu schade war, auf einen Turmhahn oder eine Lampe ein Gedicht zu schreiben, scheint ihm zum Verhängnis geworden zu sein. Dabei steckt selbst in den eher idyllischen Texten stets eine gute Portion Ironie, aber es überwiegen ohnehin solche, die alles andere als betulich sind. Sein Roman Maler Nolten (1832) legt die seelischen Abgründe eines jungen Künstlers offen und ist von geradezu anti-biedermeierlicher Zerrissenheit und Aufgewühltheit gekennzeichnet. Mit formaler Strenge und leisen, eindringlichen Tönen gibt dagegen die Novelle Mozart auf der Reise nach Prag (1855) eine scheinbar unbeschwerte Anekdote aus dem Leben des Komponisten wieder – und doch wird dem Leser dabei ein beklemmender Einblick in die Tragik des sich verzehrenden Genies gewährt.