Biographie Franz Kafka (Seite 8)
Im Herbst 1918 will sich Kafka für ein paar Monatein Schelesen, einem kleinen Ort nördlich von Prag, erholen und lernt dort Julie Wohrycek, eine junge Prager Jüdin, kennen. Ihre Begegnungen kommen anfangs über ein verlegenes, zwanghaftes Lachen und Kichern auf beiden Seiten kaum hinaus, und ihre Wege trennen sich zunächst wieder. Doch in Prag treffen sich die beiden wieder und verlieben sich leidenschaftlich – es kommt 1919 zu einer fast heimlichen Verlobung mit auf dem Fuße folgender Auflösung derselben; Kafka entschuldigt sich und ist doch in Gedanken schon bei der leicht exzentrischen Milena Jesenská, seiner Übersetzerin, Freundin und zweiten großen Briefpartnerin.
Milena Jesenská stammte aus Prag und lebte in jener Zeit in Wien; sie führte mit dem Prager Bohemien und notorischen Sexprotz Ernst PolLak eine unglückliche Künstlerehe; ihr Mann betrog sie bei jeder Gelegenheit, ihr Vater hatte sie wegen dieser Verbindung mit einem jüdischen Habenichts schon enterbt, und sie versuchte, mit Zeitungsartikeln und Übersetzungen ihren Lebensunterhalt zu verdienen. An Kafka wendet sie sich mit der Bitte, seine Werke ins Tschechische übersetzen zu dürfen; zahlreiche Briefe wechseln hin und her, bis der scheue Kafka und die impulsive Milena sich persönlich füreinander zu interessieren beginnen. Doch Kafka zögert noch, sich mit der jungen Frau zu treffen; er hat auch völlig grundlos ein schlechtes Gewissen ihrem Gatten gegenüber – grundlos schon allein deshalb, weil sich niemals das Geringste zwischen ihnen abgespielt hat. Schließlich verbringen Milena und er doch ein paar unbeschwerte Tage in Wien. An Max Brod berichtet Milena später, sie habe es fertiggebracht, Kafka für Augenblicke seine Angst vor den Dingen des Lebens zu nehmen.
Angesichts seiner schweren Lungen- und Kehlkopftuberkulose zeigt sich der sonst ängstliche Kafka nicht übermäßig betroffen. Vielmehr scheint er so etwas geahnt zu haben. Es musste so kommen, am Ende stehtkeine Genesung, sondern nur der Tod – Kafka schaut seinem eigenen Ableben ruhig, fast stoisch entgegen. Noch ein halbes Jahr vor seinem Ende (1924) schreibt der inzwischen frühpensionierte und von den Ärzten aufgegebene Dichter an der humorvollen, essayistischen Erzählung Josefine, die Sängerin oder Das Volk der Mäuse – ein Text, der sich wunderbar versponnen um die Definition seines Gegenstandes bemüht: eine egozentrische Sängerin, die sich für eine große Diva hält, im Grunde aber gar nicht singen, sondern nur – ganz ordinär – pfeifen kann und von der Bevölkerung bewundert wird, obwohl oder gerade weil ihr das Publikum nicht richtig zuhört und heute niemand mehr etwas von Gesang versteht – was Josefine zu ahnen scheint.
»Und dabei ist sie im Herzen tapfer, ehrlich, selbstvergessend, – so große Eigenschaften in einem Geschöpf, das körperlich nicht ohne Schönheit, aber so nichtig ist, wie etwa die Mücke, die gegen mein Lampenlicht fliegt.«
An Max Brod, 6. Februar 1919
»Im Riegerpark gewesen. An den Jasminbüschen mit Julie auf- und abgegangen. Lügenhaft und wahr, lügenhaft im sanften, wahr in der Gebundenheit, im Vertrauen, im Geborgensein.«
Tagebucheintrag vom 30. Juni 1919
»Donnerstag. Kälte. Schweigend mit Julie im Riegerpark. Verführung auf dem Graben. Das alles ist zu schwer. Ich bin nicht genug vorbereitet.«
Tagebucheintrag vom 11. Dezember 1919
»Sie stehn fest bei einem Baum, jung schön, Ihre Augen strahlen das Leid der Welt nieder.«
An Milena, 3. Juni 1920
»Du gehörst zu mir, selbst, wenn ich Dich nie mehr sehen würde.«
An Milena, 12. Juni 1920
»Sie ist ein lebendiges Feuer, wie ich es noch nie gesehen habe. Dabei äußerst zart, mutig, klug und alles wirft sie in das Opfer hinein oder hat es, wenn man will, durch das Opfer erworben.«
An Max Brod, Anfang Mai 1920
»Da ich Dich liebe [...] liebe ich die ganze Welt [...] und dazu gehört auch die linke Schulter und Dein Gesicht über mir im Wald und Dein Gesicht unter mir im Wald und das Ruhn an Deiner fast entblößten Brust. Und darum hast Du recht, wenn Du sagst, daß wir schon eins waren und ich habe gar keine Angst davor.«
An Milena, 9. August 1920
»Mit einem solchen Körper läßt sich nichts erreichen. Ich werde mich an sein fortwährendes Versagen gewöhnen müssen.«
Tagebucheintrag vom 21. November 1911
»[...] in dieser Krankheit liegt zweifellos Gerechtigkeit, es ist ein gerechter Schlag, den ich nebenbei gar nicht als Schlag fühle, sondern als etwas im Vergleich zum Durchschnitt der letzten Jahre durchaus süßes, es ist also gerecht, aber so grob, so irdisch, so einfach, so in die bequemste Kerbe geschlagen.«
An Ottla, 4./5. September 1917
»Es war so, daß das Gehirn die ihm auferlegten Sorgen und Schmerzen nicht mehr ertragen konnte. Es sagte: ‘Ich gebe es auf; ist hier aber noch jemand, dem an der Erhaltung des Ganzen liegt, dann möge er mir etwas von meiner Last abnehmen und es wird noch ein Weilchen gehn.’ Da meldete sich die Lunge, viel zu verlieren hatte sie ja wohl nicht.«
An Milena, April 1920