Biographie Johann Wolfgang Goethe (Seite 8)

Wieder widmet sich Goethe jetzt vorwiegend seinen naturwissenschaftlichen Arbeiten, vor allem seiner Farbenlehre. In ihr führt er einen vergeblichen Kampf gegen die Optik Newtons; es ist im Grunde ein Streit des Augenmenschen und Künstlers gegen die analytische Wissenschaft. 1809 entsteht der Roman Die Wahlverwandtschaften, in dem er u. a. seine letztlich von Entsagung geprägte Begegnung mit Minchen Herzlieb, der achtzehnjährigen Pflegetochter des Jenaer Buchhändlers Frommann verarbeitet. 1811 beginnt er die Niederschrift von Dichtung und Wahrheit, seiner Lebensgeschichte.

Goethe ist inzwischen ein älterer Herr von über 60 Jahren geworden. Er pflegt jetzt regelmäßig Bäder in Böhmen aufzusuchen: Karlsbad, Franzensbad, Teplitz oder Marienbad. Dichterisch geben inzwischen Jüngere den Ton an: Ludwig Tieck, Clemens Brentano, Achim von Arnim, Novalis, August Wilhelm und Friedrich Schlegel, Heinrich von Kleist. Obwohl sich die Romantiker auf Goethe berufen, vor allem auf Wilhelm Meisters Lehrjahre, lehnt Goethe die ganze Richtung ziemlich schroff ab: "Das Klassische nenne ich das Gesunde und das Romantische das Kranke." (Eckermann: Gespräche, 2. April 1829).

1814 unternimmt Goethe eine Reise in die Rhein- und Maingegenden; die neu gewonnene Schaffenskraft findet ihren Niederschlag in der Arbeit am West-östlichen Divan, in welchem er – in Auseinandersetzung mit dem persischen Dichter Hafis – eine Synthese von östlicher und westlicher Weltanschauung zu schaffen sucht.

Es ist die letzte größere Reise. Mehr und mehr zieht sich Goethe in seinen letzten Lebensjahren zurück; vor allem nach dem Tod seiner Frau (1816) werden die hinteren Zimmer seines Hauses zum Zentrum seiner Welt. 1823 kommt Johann Peter Eckermann zu Goethe und wird ihm als Sekretär und Gesprächspartner bald unentbehrlich. (Eckermann: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens, erschienen 1836–48). Eine weltabgeschiedene Idylle ist dieses Haus am Frauenplan allerdings nicht, dafür sorgen schon die lebenslustige Schwiegertochter Ottilie, die sein Sohn August 1817 geheiratet hat, und die drei Enkelkinder Walther, Wolfgang und Alma.

Im Alter von 74 verliebt sich Goethe noch einmal leidenschaftlich. Es geschieht auf seiner letzten Badereise nach Böhmen, in Marienbad, wo er der neunzehnjährigen Ulrike von Levetzow begegnet. Beinahe hätte er das Mädchen noch geheiratet, entschließt sich dann aber doch zum Verzicht. Die Trilogie der Leidenschaft (darin: Marienbader Elegie) ist ergreifender Ausdruck dieser späten Passion.

»Farbenkreis«, kolorierte Skizze von Goethe
»Farbenkreis«, kolorierte Skizze von Goethe

»Trennt man [...] die Wirklichkeit in verschiedene Gebiete, so löst sich der Widerspruch zwischen der Goetheschen und der Newtonschen Farbenlehre von selbst. Die beiden Theorien stehen an verschiedenen Stellen in jenem großen Gebäude der Wissenschaft. Sicher kann die Anerkennung der modernen Physik den Naturforscher nicht hindern, auch den Goetheschen Weg der Naturbetrachtung zu gehen und weiter zu verfolgen. Freilich wäre die Hoffnung, daß wir von dieser Erkenntnis aus schon bald zu einer lebendigeren und einheitlicheren Stellung zur Natur zurückkehren könnten, noch verfrüht [...].«

Werner Heisenberg (Nobelpreis für Physik 1932): ‘’Die Goethesche und die Newtonsche Farbenlehre im Lichte der modernen Physik’’. In: Geist der Zeit 19 (1941)

Carl August und Goethe im Junozimmer.
Carl August und Goethe im Junozimmer.
Kupferstich von C. A. Schwerdgeburth, um 1825

»Goethe behagt die Hofluft sehr. Mehr als einem Dichter geziemt. Es ist nicht viel mehr über die Lächerlichkeiten der Virtuosen hier reden, wenn Dichter, die als die ersten Lehrer der Nation angesehen sein sollten, über diesem Schimmer alles andere vergessen können.«

Brief Ludwig van Beethovens an Breitkopf und Härtel vom 9. August 1812

Beethoven, der Goethe durchaus bewunderte und seinen Brief an ihn vom 12. April 1811 als »Euer Exzellenz Großer Verehrer« unterschrieb, mag dessen Umgang mit den Mächtigen befremdet haben. Schließlich hatte Beethoven 1810 die Ouvertüre zu Egmont geschrieben; vielleicht identifizierte er den Freiheitshelden zu sehr mit dem Autor des Werkes.

Johann Peter Eckermann (1792 – 1854)
Johann Peter Eckermann (1792 – 1854)
Kreidezeichnung von Johann Joseph Schmeller, 1828

»Diese Sammlung von Unterhaltungen und Gesprächen mit Goethe ist größtenteils aus dem mir innewohnenden Naturtriebe entstanden, irgendein Erlebtes, das mir wert oder merkwürdig erscheint, durch schriftliche Auffassung mir anzueignen.
Zudem war ich immerfort der Belehrung bedürftig, sowohl als ich zuerst mit jenem außerordentlichen Manne zusammentraf, als auch nachdem ich bereits jahrelang mit ihm gelebt hatte, und ich ergriff gerne den Inhalt seiner Worte und notierte ihn mir, um ihn für mein ferneres Leben zu besitzen.
Wenn ich aber die reiche Fülle seiner Äußerungen bedenke, die während eines Zeitraumes von neun Jahren mich beglückten, und nun das wenige betrachte, das mir davon schriftlich aufzufassen gelungen ist, so komme ich mir vor wie ein Kind, das den erquicklichen Frühlingsregen in offenen Händen aufzufangen bemüht ist, dem aber das meiste durch die Finger läuft.«

Johann Peter Eckermann. Aus dem Vorwort zu ‘Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens’. Erster Band, 1836

Das Haus am Frauenplan.
Das Haus am Frauenplan.
Stich von Ludwig Schütze nach einer Zeichnung von Otto Wagner

»Das Haus war illuminiert, der Großherzog hatte sich zum Tee ansagen lassen; ich ließ jedoch einstweilen meine Ankunft melden. Goethe empfing mich aufs freundlichste und herzlichste: ich hatte ihm mancherlei zu erzählen. [...] Goethe stand dabei immer, ich merkte diesem nach und nach ab, daß man, wenn es still mit Sprechen wird, nicht ihn zu unterhalten suchen, sondern warten solle, bis ihm wieder etwas einfällt.– Sonst ging alles ganz ungeniert, ich mußte ein paar Stunden auf meinem Sofa genagelt aushalten.«

Georg Friedrich Wilhelm Hegel. Brief an seine Frau vom 17. Oktober 1827