Zitate von und über Leben und Werk von Franz Kafka


»Joyce und Eliot sind hervorragende Poeten, aber diesem allertiefsten und allerwahrhaftigsten von den zeitgenössischen Dichtern bleiben sie unterlegen.«

Anna Achmatowa. Nach Lew Kopelew: »Franz Kafkas schwierige Rußlandreise«. In: 'Was bleibt von Franz Kafka' Positionsbestimmung. Kafka-Symposion'. Wien 1983


»In Kafka finde ich so eine sonntägliche Aufgeregtheit vor dem Essen. Nein, er ist nur immer gut gelaunt, wenn er schreibt.«

Herbert Achternbusch. Zitiert nach: 'Dichter beschimpfen Dichter. Ein Alphabet harter Urteile.' Zusammengesucht von Jörg Drews & Co. Zürich 1990


»Kafkas Werk ist ein prophetisches. Die überaus präzisen Seltsamkeiten, von denen das Leben, mit dem es zu tun hat, so voll ist, sind für den Leser nur als kleine Zeichen, Anzeichen und Symptome von Verschiebungen zu verstehen, die der Dichter in allen Verhältnissen sich anbahnen fühlt, ohne den neuen Ordnungen sich selber einordnen zu können. So bleibt ihm nichts als mit einem Staunen, in das sich freilich panisches Entsetzen mischt, auf die fast unverständlichen Entstellungen des Daseins zu antworten, die das Heraufkommen dieser Gesetze verraten. Kafka ist davon so erfüllt, daß überhaupt kein Vorgang denkbar ist, der unter seiner Beschreibung – d.h. hier aber nichts anderes als Untersuchung – sich nicht entstellt. Mit anderen Worten, alles, was er beschreibt, macht Aussagen über etwas anderes als sich selbst.«

Walter Benjamin. Aus: »Franz Kafka. Beim Bau der Chinesischen Mauer.« Vortrag im Frankfurter Rundfunk vom 3. Juli 1931


»Mit einer nicht überbietbaren Schärfe und Klarheit des Blicks prüfte und entzauberte, entschälte er das Echte des äußeren und inneren Lebens bei sich und anderen. Er verurteilte nie; er stellte fest. Ohne Haß und Scheu, aber auch ohne verzärtelnde Empfindsamkeit faßte er das Skelett jeder Seele, jeder Begebenheit, jeder sich ereignenden Situation sicher, aber doch dabei mit so zarten, behutsamen Fingern, daß auch die Kälte des unbarmherzigen Durchschauers – war es die Grazie des Ausdrucks, war es die unverwelkliche Güte des reinen Willens? – nie wehtat, nie frösteln machte.«

Baum, Oskar. In: 'Der Jude', Berlin, August 1924


»Man hört: diese Bücher gehen beim Publikum schlecht. Sie werden langsam besser gehen. Es ist eine starke, wenn auch stille werbende Kraft in ihnen. Ein tiefer, hellsichtiger, freier Mensch hat sie geschrieben, ein in sich geschlossener. Und wie sehr braucht man solche Menschen und ihre Stimmen.«

Alfred Döblin. Aus: »Die Romane von Franz Kafka«. In: 'Die literarische Welt', 4. März 1927


»Gleich fallen mir ein paar Dinge ein aus den letzten Jahren, von denen eine so schmeichelhafte Wirkung auf mich ausging: Franz Kafkas Bücher etwa, grundeigentümliche Gebilde von sublimer Sorgfalt, die kleinen Geschichten sowohl als auch die weitläufigen Phantasien 'Der Prozeß' und 'Das Schloß' – beängstigend, traumkomisch, treumeisterlich und krankhaft, die sonderbar eindringlichste Unterhaltung, die man sich denken kann.«

Thomas Mann. Aus: »Verjüngende Bücher: Kafka – Schwob – Schmeljow – Graf«. In: 'Frankfurter Zeitung', 17. April 1927


»Kafka verfügte über eine seltene Kraft, sich Gleichnisse zu schaffen. Trotzdem erschöpft er sich in dem, was deutbar ist, niemals, hat vielmehr alle erdenklichen Vorkehrungen gegen die Auslegung seiner Texte getroffen. Mit Umsicht, mit Behutsamkeit, mit Mißtrauen muß man in ihrem Inneren sich vorwärtstasten.«

Walter Benjamin. Aus: »Franz Kafka. Zur zehnten Wiederkehr seines Todestages«. In: 'Jüdische Rundschau', 21./28. Dezember 1934


»Er mutet dem angeblich interesselosen Betrachter von einst verzweifelte Anstrengung zu, springt ihn an und suggeriert ihm, daß weit mehr als sein geistiges Gleichgewicht davon abhänge, ob er richtig versteht, Leben oder Tod. Unter den Voraussetzungen Kafkas ist nicht die geringfügigste, daß das kontemplative Verhältnis von Text und Leser von Grund auf gestört ist. Seine Texte sind darauf angelegt, daß nicht zwischen ihnen und ihrem Opfer ein konstanter Abstand bleibt, sondern daß sie seine Affekte derart aufrühren, daß er fürchten muß, das Erzählte käme auf ihn los wie Lokomotiven aufs Publikum in der jüngsten, dreidimensionalen Filmtechnik. Solche aggressive physische Nähe unterbindet die Gewohnheit des Lesers, mit Figuren der Romane sich zu identifizieren.«

Theodor W. Adorno. Aus: »Aufzeichnungen zu Kafka«. In: 'Prismen'. München 1955


»Das ist das Wesen des Dichters und der geheimnisvolle Zauber seines Werks: Güte ohne Nachsicht, Sanftmut ohne Schwäche, fordernde sittliche Strenge ohne Hochmut; Schauer und Grauen der Wahrheit in einer kristallreinen, unerschrockenen, ausführlichen Klarheit, die durch alles Fehlen von Verbitterung und Groll etwas von der überirdischen Heiterkeit des Alleswissens und Allesverstehens enthält.«

Baum, Oskar. Aus: »Das Wunder einer unscheinbaren Hölle«. In: 'Berliner Börsen-Courier', 15. Februar 1927 (1. Beilage)


»[Kafka war] der Vater von ziellosen Träumen, von Alpträumen ohne anderen Grund als ihren Zauber«

Jorge Luis Borges. Aus: »Las pesadillas y Kafka«. In: 'La Prensa' [Buenos Aires], 2. Juni 1935


»Es gehört dies mit zu den Geheimnissen und zu der absoluten Einzigartigkeit von Kafkas Dichtkunst, daß für den richtigen Leser der unvollendeten großen Romane von einem gewissen Punkt an, in dem die Voraussetzungen nahezu ohne Lücke gegeben sind, der äußere Abschluß an Wichtigkeit verliert.«

Max Brod. Aus: »Nachwort zu Franz Kafkas Roman 'Das Schloß'«. In: 'Berliner Tageblatt', 1. Dezember 1926


»[...] – nur das Buch Kafka´s hab ich mir schon jetzt, gestern abend, mitten in anderen Beschäftigungen, vorweggenommen. Ich habe nie eine Zeile von diesem Autor gelesen, die mir nicht auf das eigentümlichste mich angehend oder erstaunend gewesen wäre.«

Rainer Maria Rilke. Brief an Kurt Wolff vom 17. Februar 1922


»Es spricht für die unabdingbare Eigenheit der Anlage Kafkas, daß er aus Fehlern nichts lernt. Mißlingen und Mißlingen multipliziert sich ihm nie zu Gelingen. Die Schwierigkeiten bleiben immer dieselben, als handle es sich darum, das Unüberwindliche ihrer Natur zu demonstrieren.«

Elias Canetti. Aus: 'Der andere Prozeß. Kafkas Briefe an Felice.' München 1969, S. 116


»Schade, schade um ihn. Er war weitaus der echteste von den Prager Dichtern. Ein großer und feiner Mensch.«

Egon Erwin Kisch. Brief an die Mutter, 5. Juni 1924


»Er war von Natur ein Fanatiker voll ausschweifender Phantasie, aber dieses Glühen zügelte er mit inbrünstigem Ringen nach strenger Sachlichkeit. Seine beispiellose Überwindung alles verführerischen, süßlichen Schwärmens und Schwelgens in Gefühlen und verschwommenen Träumereien war ein Teil seines religiös anmutenden – körperlich ins spleenhafte sich auswachsenden – Reinlichkeitskults. Er schuf mit der subjektiven Bildform, aber es mußte als die äußerste Objektivität wirken.«

Baum, Oskar. In: 'Der Jude', Berlin, August 1924


»Es kommt Walser, der mit knabenhaftem Lächeln die Welt hinnimmt, und der noch tiefer ihm nachgrabende Kafka, der das Wunder auf die Erde bringt und die äußeren Dinge mit schlichten Worten zart und fein mit Selbstverständlichkeit wie etwas Unirdisches wiedergibt.«

Kasimir Edschmid. Aus: »Expressionismus in der Dichtung.« In: 'Die neue Rundschau 29', (1918)


»Was ist das wieder für ein seltsames, aufregendes, wunderliches und was für ein beglückendes Buch [Erzählungen aus dem Nachlaß]! Es ist, wie alle Werke dieses Dichters, ein Gespinst aus zartesten Traumfäden, die Konstruktion einer Traumwelt, hergestellt mit so reinlicher Technik und geschaffen mit so intensiver Kraft der Vision, daß eine unheimliche, hohlspiegelhafte Scheinwirklichkeit entsteht, welche zunächst wie ein Alptraum wirkt, bedrückend und ängstigend, bis dem Leser der geheime Sinn dieser Dichtungen aufgeht. Dann strahlt Erlösung aus Kafkas eigenwilligen und phantastischen Werken, denn der Sinn seiner Dichtung ist durchaus nicht, wie es zunächst bei der ganz ungewöhnlichen Sorgfalt der Kleinarbeit scheinen könnte, ein artistischer, sondern ein religiöser. Was diese Werke ausdrücken, ist Frömmigkeit, was sie erwecken, ist Devotion, ist Ehrfurcht.«

Hermann Hesse. Aus: »Franz Kafkas Nachlaß«. In: 'Berliner Tageblatt', 9. September 1925


»In einem richtigen Roman bleibt man immer im Roman und wird nicht nach Aufklärung verlangen. Da schreibt Kafka nun ganz einfache Dinge – wie einer als Landvermesser irgendwohin kommt, wie er im Wirtshaus festzustellen versucht, was er tun soll, das Schloß aber läßt sich nicht sprechen, er verliebt sich in das Schankmädchen und so weiter: es folgen eigentlich kleine Ereignisse, eins nach dem andern, man möchte kaum viel Aufhebens machen, die Gespräche sind banal – und doch ist alles ungemein schön, eigentümlich fesselnd, weil es nämlich sonderbar bedeutungsvoll ist.«

Alfred Döblin. Aus: »Die Romane von Franz Kafka«. In: 'Die literarische Welt', 4. März 1927


»Kafkas Werk, in dem es um die dunkelsten Anliegen des menschlichen Lebens geht (Anliegen, deren je und je sich Theologen und selten so wie Kafka es getan hat, Dichter angenommen haben), hat seine dichterische Größe eben daher, daß es dieses theologische Geheimnis ganz in sich selbst trägt, nach außen aber unscheinbar und schlicht und nüchtern auftritt.«

Walter Benjamin. Aus: »Kavaliersmoral«. In: 'Die literarische Welt', 25. Oktober 1929


»Und der Kafka, Sie haben ihn nicht bemerkt, nehme ich an, er wirkte unverbraucht und zu neu. Ich habe eine dieser Novellen gelesen: außerordentlich.«

Rainer Maria Rilke. Brief an Nanny Wunderly-Volkart vom 12. November 1925


»Kafka hat sich von Anfang an auf die Seite der Gedemütigten gestellt. Viele haben das getan, und um etwas auszurichten, haben sie sich mit anderen verbunden. Das Kraftgefühl, das ihnen dieser Zusammenschluß gab, benahm ihnen bald die akute Erfahrung der Demütigung, von der kein Ende abzusehen ist, sie geht täglich und stündlich überall weiter. Kafka hielt jede dieser Erfahrungen von ähnlich gearteten, aber auch von denen anderer Menschen getrennt. Es war ihm nicht gegeben, sie durch Beteiligung und Mitteilung loszuwerden; er hütete sie mit einer Art von Verstocktheit, als wären sie sein wichtigster Besitz. Diese Verstocktheit möchte man als seine eigentliche Begabung bezeichnen.«

Elias Canetti. Aus: 'Der andere Prozeß. Kafkas Briefe an Felice.' München 1969, S. 90


»In Kafka finde ich so eine sonntägliche Aufgeregtheit vor dem Essen. Nein, er ist nur immer gut gelaunt, wenn er schreibt.«

Herbert Achternbusch. Zitiert nach: 'Dichter beschimpfen Dichter. Ein Alphabet harter Urteile.' Zusammengesucht von Jörg Drews & Co. Zürich 1990