Biographie Franz Kafka (Seite 2)
Auch seine Vorbehalte einer Ehe gegenüber rühren zum Teil aus der Furcht, sich nicht mehr auf das Schreiben konzentrieren zu können. Kafka ist ein Literatur-Besessener – allerdings aus persönlicher Not heraus.
Innerhalb der Familie gilt der skrupelhafte, introvertierte Schriftsteller als Außenseiter, besonders der Vater bringt nicht das geringste Verständnis für die Interessen seines Sohnes auf. Kafka arbeitet auch deshalb vorwiegend in den Nachtstunden, weil er dann endlich seine Ruhe hat, denn die Eltern und Geschwister schlafen, sie lärmen oder plaudern nicht mehr, und er kann sich in das winters beheizte Wohnzimmer setzen. Ein Prosatext aus dem Jahre 1912 (Großer Lärm) beginnt folgendermaßen: "Ich sitze in meinem Zimmer im Hauptquartier des Lärms der ganzen Wohnung."
Franz Kafka zieht sich im Lauf der Jahre zunehmend in die Literatur zurück. Man könnte sogar sagen: Aus dem engen bürgerlichen Dasein (als eine Metamorphose des Grauens verzerrt nachgestaltet in seiner berühmtesten Erzählung Die Verwandlung (1915)) – Studium, Praktisches Jahr und Anstellung in einer Versicherung – emigriert der stark angeschlagene, übersensible Mensch Kafka in den Raum der Literatur. Das hängt nicht wenig mit dem Vater zusammen,der keine direkte Schuld, aber dennoch großen Anteil an der Misere seines Sohnes hat: Der Jude Hermann Kafka war ein tüchtiger Geschäftsmann, den das Leben hart gemacht hatte. Er stammte aus denkbar einfachsten ländlichen Verhältnissen, musste schon als Kind im Elternhaus mitarbeiten und Fleischwaren ausliefern, war in seiner Jugend als Händler durch die Dörfer getingelt und hatte es in Prag nach seiner Militärzeit zu bescheidenem Wohlstand gebracht: Gemeinsam mit seiner aus dem vermögenden und gebildeten deutsch-jüdischen Bürgertum stammende Frau Julie (geb. Löwy) führte er bald einen Kurz- bzw. ,Galanteriewarenladen'. Dort verbrachten die Kafkas den ganzen Tag und verkauften Tücher, Stoffe, Troddeln und Rüschen. Abends saßen sie vielleicht noch beim Kartenspiel zusammen, während die vier Kinder – Franz und seine Schwestern Elli, Valli und Ottla – von einem tschechischen Dienstmädchen versorgt und erzogen wurden. Gleichzeitig war der robuste Hermann Kafka ein rücksichtsloser Tyrann, der seine Angestellten lauthals herumkommandierte und sogar wüst beschimpfte. Den eigenen Kindern hielt er fast täglich vor, dass es ihnen eigentlich viel zu gut ginge, dass sie niemals Not leiden mussten und alles nur ihm zu verdanken hätten. Darüber hinaus hatte er aus persönlichem Stolz heraus eine klare Vorstellung davon, wie gerade sein Sohn hätte beschaffen sein sollen: nämlich aufgeschlossen, hart und arbeitsam – ganz sein Ebenbild.
»Du bekamst für mich das Rätselhafte, das alle Tyrannen haben, deren Recht auf ihrer Person, nicht auf dem Denken begründet ist.«
‘Brief an den Vater’ 1919
»Sagte ich Dir schon einmal, daß ich den Vater bewundere? Daß er mein Feind ist und ich seiner, so wie es durch die Natur bestimmt ist, das weißt Du, aber außerdem ist meine Bewunderung seiner Person vielleicht so groß, wie meine Angst vor ihm. An ihm vorbei kann ich zur Not, über ihn hinweg nicht.«
An Felice, 24. August 1913
»Schrecklich war es auch, wenn Du [der Vater] schreiend um den Tisch herumliefst, um einen zu fassen, offenbar gar nicht fassen wolltest, aber doch so tatest, und die Mutter einen schließlich scheinbar rettete. Wieder hatte man einmal, so schien es dem Kind, das Leben durch Deine Gnade behalten und trug es als Dein unverdientes Geschenk weiter. [...] Es ist wahr, daß die Mutter grenzenlos gut zu mir war, aber alles das stand in Beziehung zu Dir, also in keiner guten Beziehung. Die Mutter hatte unbewußt die Rolle eines Treibers in der Jagd. [...] Man konnte bei ihr zwar immer Schutz finden, aber nur in Beziehung zu Dir.«
"Brief an den Vater", 1919
»Anstrengender Sonntag gestern. Dem Vater hat das ganze Personal gekündigt. Durch gute Reden, Herzlichkeit, Wirkung seiner Krankheit, seiner Größe und frühern Stärke, seiner Erfahrung, seiner Klugheit erkämpft er sich in allgemeinen und privaten Unterredungen fast alle zurück.«
Tagebuch vom 16. Oktober 1911