Ungekürztes Werk "Der Prozeß" von Franz Kafka

Franz Kafka

Der Prozeß

Erstes Kapitel

Verhaftung • Gespräch mit Frau Grubach dann Fräulein Bürstner

Zweites Kapitel

Erste Untersuchung

Drittes Kapitel

Im leeren Sitzungssaal • Der Student • Die Kanzleien

Viertes Kapitel

Die Freundin des Fräulein Bürstner

Fünftes Kapitel

Der Prügler

Sechstes Kapitel

Der Onkel • Leni

Siebtes Kapitel

Advokat • Fabrikant • Maler

Achtes Kapitel

Kaufmann Block • Kündigung des Advokaten

Neuntes Kapitel

Im Dom

Zehntes Kapitel

Ende


Erstes Kapitel

VERHAFTUNG

GESPRÄCH MIT FRAU GRUBACH DANN

FRÄULEIN BÜRSTNER

Jemand mußte Josef K. verleumdet haben, denn ohne daß er etwas Böses getan hätte, wurde er eines Morgens verhaftet. Die Köchin der Frau Grubach, seiner Zimmervermieterin, die ihm jeden Tag gegen acht Uhr früh das Frühstück brachte, kam diesmal nicht. Das war noch niemals geschehen. K. wartete noch ein Weilchen, sah von seinem Kopfkissen aus die alte Frau, die ihm gegenüber wohnte und die ihn mit einer an ihr ganz ungewöhnlichen Neugierde beobachtete, dann aber, gleichzeitig befremdet und hungrig, läutete er. Sofort klopfte es und ein Mann, den er in dieser Wohnung noch niemals gesehen hatte, trat ein. Er war schlank und doch fest gebaut, er trug ein anliegendes schwarzes Kleid, das, ähnlich den Reiseanzügen, mit verschiedenen Falten, Taschen, Schnallen, Knöpfen und einem Gürtel versehen war und infolgedessen, ohne daß man sich darüber klar wurde, wozu es dienen sollte, besonders praktisch erschien. “Wer sind Sie?” fragte K. und saß gleich halb aufrecht im Bett. Der Mann aber ging über die Frage hinweg, als müsse man seine Erscheinung hinnehmen, und sagte bloß seinerseits: “Sie haben geläutet?” “Anna soll mir das Frühstück bringen”, sagte K. und versuchte, zunächst stillschweigend, durch Aufmerksamkeit und Überlegung festzustellen, wer der Mann eigentlich war. Aber dieser setzte sich nicht allzulange seinen Blicken aus, sondern wandte sich zur Tür, die er ein wenig öffnete, um jemandem, der offenbar knapp hinter der Tür stand, zu sagen: “Er will, daß Anna ihm das Frühstück bringt.” Ein kleines Gelächter im Nebenzimmer folgte, es war nach dem Klang nicht sicher, ob nicht mehrere Personen daran beteiligt waren. Obwohl der fremde Mann dadurch nichts erfahren haben konnte, was er nicht schon früher gewußt hätte, sagte er nun doch zu K. im Tone einer Meldung: “Es ist unmöglich.” “Das wäre neu”, sagte K., sprang aus dem Bett und zog rasch seine Hosen an. “Ich will doch sehen, was für Leute im Nebenzimmer sind und wie Frau Grubach diese Störung mir gegenüber verantworten wird.” Es fiel ihm zwar gleich ein, daß er das nicht hätte laut sagen müssen und daß er dadurch gewissermaßen ein Beaufsichtigungsrecht des Fremden anerkannte, aber es schien ihm jetzt nicht wichtig. Immerhin faßte es der Fremde so auf, denn er sagte: “Wollen Sie nicht lieber hierbleiben?” “Ich will weder hierbleiben, noch von Ihnen angesprochen werden, solange Sie sich mir nicht vorstellen.” “Es war gut gemeint”, sagte der Fremde und öffnete nun freiwillig die Tür. Im Nebenzimmer, in das K. langsamer eintrat, als er wollte, sah es auf den ersten Blick fast genau so aus wie am Abend vorher. Es war das Wohnzimmer der Frau Grubach, vielleicht war in diesem mit Möbeln, Decken, Porzellan und Photographien überfüllten Zimmer heute ein wenig mehr

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