Biographie Johann Wolfgang Goethe (Seite 6)

Weimar, zweite Phase. 1788 – 1794
Nach anderthalb Jahren, 1788, kehrt Goethe nach Weimar zurück. Die alten Freunde, Herder und Frau von Stein zumal, empfangen ihn kühl. Doch sogleich verliebt er sich wieder: in Christiane Vulpius, ein 23jähriges Mädchen aus einfachen Verhältnissen. Sie wird fortan seine Lebensgefährtin, ohne dass Goethe diese Beziehung (selbst nach der Geburt des Sohnes August, 1789) durch eine Eheschließung vorerst legalisiert hätte. "Ich bin verheiratet, nur nicht durch Zeremonie", kommentiert er – und die Hofgesellschaft zerreißt sich über diese Mesalliance den Mund.

Seine Aufgaben als weimarischer Staatsbeamter konzentrieren sich nach seiner Rückkehr vor allem auf die künstlerischen und wissenschaftlichen Belange. Einen Schwerpunkt seiner Arbeit bildet die Universität Jena; besonders aber entspricht seiner Neigung das Amt des Direktors des 1791 gegründeten Weimarer Hoftheaters, das er zu einer der führenden Bühnen in Deutschland macht. Auch dichterische Werke entstehen nun wieder: u.a. die bereits erwähnten Römischen Elegien, die Venetianischen Epigramme, der Reineke Fuchs in Hexametern. Doch die Naturwissenschaft lässt ihn nicht los: Er schreibt die Metamorphose der Pflanzen (1790) und befasst sich intensiv mit der Knochenlehre.

Die Französische Revolution von 1789 betrachtet Goethe – anders als Wieland, Klopstock, Herder oder Schiller – von Anfang an mit Skepsis: Sie widerspricht seiner Idee von einer allmählichen Entwicklung in Natur und Geschichte. In seinen Dramen Der Groß-Kophta, Der Bürgergeneral und Die Aufgeregten sowie in seinem Novellenzyklus Unterhaltungen deutscher Ausgewanderten hat er sich ausdrücklich vom gewaltsamen Umsturz als Mittel der Politik distanziert. 1792 nimmt Goethe am erfolglosen Feldzug gegen die Revolutionsarmee im Gefolge seines alten Freundes Karl August teil, der inzwischen General geworden ist und ein preußisches Regiment kommandiert. Fast 30 Jahre später schildert er dieses Erlebnis in seiner Kampagne in Frankreich.

Weimar, dritte Phase: Schiller. 1794 – 1805
1794. Zwanzig Jahre sind vergangen, seit Goethes Werther im Druck erschienen ist, und so viel er inzwischen auch geschrieben hat, kaum etwas ist wieder wirklich populär geworden, und vergleichsweise Weniges davon ist später in den Kanon der klassischen Literatur eingegangen (Iphigenie, Egmont oder Tasso sind dafür freilich um so gewichtiger). Seine naturwissenschaftlichen Forschungen, die trotz origineller Ideen und frappierender Funde letztlich Dilettantismus blieben, haben ihn viel Kraft und Zeit gekostet. Jetzt aber geschieht etwas, das nur vergleichbar ist mit Goethes Herder-Begegnung in Straßburg: Er lernt Friedrich Schiller kennen.

Christiane Vulpius (1764 – 1816). Zeichnung Goethes (Bleistift, Kreide)
Christiane Vulpius (1764 – 1816). Zeichnung Goethes (Bleistift, Kreide), um 1789

»Und welch ein Verhältnis ist es? Wer wird dadurch verkürzt? Wer macht Anspruch an die Empfindungen, die ich dem armen Geschöpf gönne? Wer an die Stunden, die ich mit ihr zubringe? Frage [...] jeden der mir näher ist, ob ich unteilnehmender, weniger mitteilend, untätiger für meine Freunde bin als vorher? Ob ich nicht vielmehr ihnen und der Gesellschaft erst recht angehöre.«

Brief an Charlotte von Stein vom 1. Juni 1789

»Zu meiner Entschuldigung will ich nichts sagen. Nur mag ich dich gern bitten: Hilf mir selbst, daß das Verhältnis, das dir zuwider ist, nicht ausarte, sondern stehen bleibe, wie es steht.«

Brief an Charlotte von Stein vom 8. Juni 1789

Christiane und August in Goethes Hausgarten
Christiane und August in Goethes Hausgarten. Radierung von Carl Lieber nach einem Entwurf Goethes, 1793

»Goethes Verbindung mit seiner späteren Frau [...] ist fünfzehn Jahre lang ein schwerer Anstoß für die bürgerliche Gesellschaft der Stadt gewesen. Dennoch darf man dieses Verhältnis zu einem Proletariermädchen, Arbeiterin in einer Blumenfabrik, nicht als Zeugnis besonders freier sozialer Anschauungen des Dichters in Anspruch nehmen. Goethe hat auch in [...] der privaten Lebensgestaltung keine Maximen gekannt, geschweige denn revolutionäre.«

Walter Benjamin: »Goethe«, 1928

Die Kanonade bei Valmy am 20. September 1792.
Die Kanonade bei Valmy am 20. September 1792. Kupferstich von Aubert nach H. Vernet, um 1810

»Von jeder Seite wurden an diesem Tage zehntausend Schüsse verschwendet, wobei auf unserer Seite nur zwölfhundert Mann und auch diese ganz unnütz fielen. Von der ungeheuren Erschütterung klärte sich der Himmel auf [...]. Nachmittags ein Uhr, nach einiger Pause, war es am gewaltsamsten, die Erde bebte im ganz eigentlichsten Sinne, und doch sah man in den Stellungen nicht die mindeste Veränderung. Niemand wußte, was daraus werden sollte.« ‘Kampagne in Frankreich’

(Den 19. September, nachts)

Goethe und Schiller im Gespräch
»Goethe und Schiller im Gespräch«. Federzeichnung von Johann Christian Reinhart (zugeschrieben), 1804 1787

»Wir gelangten zu seinem Hause, das Gespräch lockte mich hinein; da trug ich die Metamorphose der Pflanzen lebhaft vor und ließ mit manchen charakteristischen Federstrichen eine symbolische Pflanze vor seinen Augen entstehen. Er vernahm und schaute das alles mit großer Teilnahme, [...] als ich aber geendet, schüttelte er den Kopf und sagte: ‘Das ist keine Erfahrung, das ist eine Idee.’ Ich stutzte, verdrießlich einigermaßen: [...] der alte Groll wollte sich regen, ich nahm mich aber zusammen und versetzte: ‘Das kann mir sehr lieb sein, daß ich Ideen habe, ohne es zu wissen, und sie sogar mit Augen sehe.’ Schiller, der viel mehr Lebensklugheit und Lebensart hatte als ich [...], erwiderte darauf als ein gebildeter Kantianer; und als aus meinem hartnäckigen Realismus mancher Anlaß zu lebhaftem Widerspruch entstand, so war viel gekämpft und dann Stillstand gemacht; keiner von beiden konnte sich für den Sieger halten, beide hielten sich für unüberwindlich. [...] Der erste Schritt war jedoch getan.«

»Erste Bekanntschaft mit Schiller« (1817 /1830)