Biographie Johann Wolfgang Goethe (Seite 2)

Wie es in vornehmen Bürgerhäusern üblich ist, erhält der junge Goethe Unterricht von Hauslehrern, vor allem in alten und neuen Sprachen. Schon früh kommt er mit der Welt des Theaters in Berührung; im Alter von elf Jahren besucht er – während der Besetzung Frankfurts durch die Franzosen im Siebenjährigen Krieg – regelmäßig die Aufführungen einer französischen Schauspielertruppe.

Studium. Leipzig 1765 – 1768
Mit sechzehn geht Goethe zum Studium der Rechte nach Leipzig. Die Messestadt, die im Geist des Rokoko eine viel modernere Atmosphäre ausstrahlt als das konservative Frankfurt, beeindruckt ihn stark. An der Universität hört er außer Jura auch Vorlesungen über Poesie bei den berühmten Aufklärern Johann Christoph Gottsched und Christian Fürchtegott Gellert, die ihn jedoch beide enttäuschen. Sehr systematisch scheint er sein Studium in den drei Leipziger Jahren nicht betrieben zu haben, dafür lernt er Radieren und Kupferstechen und nimmt Zeichenunterricht bei Adam Friedrich Oeser, einem Freund des berühmten klassizistischen Kunsttheoretikers Johann Joachim Winckelmann. In seine Leipziger Zeit fällt auch die erste 'große Liebe' Goethes: ein kurzes Verhältnis mit Käthchen Schönkopf, der Tochter der Wirtsleute, bei denen er seinen Mittagstisch hat. Der Stoff für sein erstes vollendetes Drama Die Laune des Verliebten geht auf dieses Erlebnis zurück.

Eine Krise. Frankfurt 1768 – 1770
1768 zwingt ihn eine schwere psychische und physische Krise – über deren Ursache nur Vermutungen angestellt werden können –, nach Frankfurt zurückzukehren, wo er sich im Elternhaus nur langsam wieder erholt. In der Zeit seiner Rekonvaleszenz befasst er sich unter dem Einfluss Susanna Katharina von Klettenbergs, einer Freundin seiner Mutter und Anhängerin der Herrnhuter Brüdergemeinde, mit mystischen und pietistischen Schriften. Zur selben Zeit wird sein Interesse für die Erforschung der Natur durch den Arzt Johann Friedrich Metz geweckt.

Straßburg. Sesenheim. 1770 – 1771
Gegen Ostern 1770 verlässt Goethe Frankfurt zum zweiten Mal, um in Straßburg sein abgebrochenes Studium zu beenden. Straßburg bedeutet in vieler Hinsicht einen völligen Neubeginn. Nicht nur, dass er hier ernsthaft studiert (allerdings nicht die wenig geliebte Juristerei, sondern vorwiegend Medizin und Staatswissenschaft), nicht nur, dass ihm der Anblick des Straßburger Münsters die Augen öffnet für die zu seiner Zeit noch verpönte gotische Architektur – in Straßburg lernt er auch Menschen kennen, die für seine weitere Entwicklung von wegweisender Bedeutung sind.

Johann Wolfgang Goethe.Kopie eines Ölgemäldes von Johann Adam Kern
Johann Wolfgang Goethe. Kopie eines Ölgemäldes von Johann Adam Kern, 1865 zu Darmstadt nach einer Zinkographie um 1832

»Meine Kollegia besuchte ich anfangs emsig und treulich; die Philosophie wollte mich jedoch keineswegs aufklären. In der Logik kam es mir wunderlich vor, daß ich diejenigen Geistesoperationen, die ich von Jugend auf mit der größten Bequemlichkeit verrichtete, so auseinanderzerren, vereinzelen und gleichsam zerstören sollte, um den rechten Gebrauch derselben einzusehen. Von dem Dinge, von der Welt, von Gott glaubte ich ungefähr so viel zu wissen als der Lehrer selbst, und es schien mir an mehr als einer Stelle gewaltig zu hapern. [...] Mit den juristischen Kollegien ward es bald ebenso schlimm: denn ich wußte gerade schon soviel, als uns der Lehrer zu überliefern für gut fand. Mein erster hartnäckiger Fleiß im Nachschreiben wurde nach und nach gelähmt, indem ich es höchst langweilig fand, dasjenige nochmals aufzuzeichnen, was ich bei meinem Vater, teils fragend, teils antwortend, oft genug wiederholt hatte, um es für immer im Gedächtnis zu behalten.«

‘Dichtung und Wahrheit’, 2. Teil, 6. Buch

»Streit um eine Puppe« Zeichnung Goethes (Kreide, Feder, Tusche).
»Streit um eine Puppe« Zeichnung Goethes (Kreide, Feder, Tusche).

»Die mancherlei Gegenstände, welche ich von den Künstlern behandelt sah, erweckten das poetische Talent in mir, und wie man ja wohl ein Kupfer zu einem Gedicht macht, so machte ich nun Gedichte zu den Kupfern und Zeichnungen, indem ich mir die darauf vorgestellten Personen in ihrem vorhergehenden und nachfolgenden Zustande zu vergegenwärtigen [...] wußte und so mich gewöhnte, die Künste in Verbindung miteinander zu betrachten.«

‘Dichtung und Wahrheit’, 2. Teil, 8. Buch

 Käthchen Schönkopf (1746 – 1810)
Käthchen Schönkopf (1746 – 1810). Stahlstich von Auguste Hüsener nach einem nicht mehr vorhandenen Gemälde

Goethe nennt Käthchen in seinen Erinnerungen »Ännchen«, »von der ich nicht mehr zu sagen wüßte, als daß sie jung, hübsch, munter, liebevoll und so angenehm war, daß sie wohl verdiente, in dem Schrein des Herzens eine Zeitlang als eine kleine Heilige aufgestellt zu werden [...]. Da sie sich aber aus dem Hause wenig entfernen konnte noch durfte, so wurde denn doch der Zeitvertreib etwas mager.« Goethe war »von jener bösen Sucht befallen, die uns verleitet, aus der Quälerei der Geliebten eine Unterhaltung zu schaffen und die Ergebenheit eines Mädchens mit willkürlichen und tyrannischen Grillen zu beherrschen. [...] Sie trug es eine Zeitlang mit unglaublicher Geduld, die ich grausam genug war aufs Äußerste zu treiben. Allein zu meiner Beschämung und Verzweiflung mußte ich endlich bemerken, daß sich ihr Gemüt von mir entfernt habe [...] und nun fühlte ich erst, daß ich sie wirklich liebte und daß ich sie nicht entbehren könne. [...] Allein es war zu spät!«

‘Dichtung und Wahrheit’, 2. Teil, 7. Buch

 Das Straßburger Münster. Kupfertafel aus dem Jahre 1758
Das Straßburger Münster. Kupfertafel aus dem Jahre 1758 für eine Buchillustration.

»Ich war im Wirtshaus ‘Zum Geist’ abgestiegen und eilte sogleich, das sehnlichste Verlangen zu befriedigen und mich dem Münster zu nähern [...]. Als ich nun erst durch die schmale Gasse diesen Koloß gewahrte, sodann aber auf dem freilich sehr engen Platz allzu nah vor ihm stand, machte derselbe einen Eindruck ganz eigner Art, den ich aber auf der Stelle zu entwickeln unfähig, für diesmal nur dunkel mit mir nahm, indem ich das Gebäude eiligst bestieg [...]. Herabgestiegen von der Höhe, verweilte ich noch eine Zeitlang vor dem Angesicht des ehrwürdigen Gebäudes; aber was ich mir weder das erste Mal noch in der nächsten Zeit ganz deutlich machen konnte, war, daß ich dieses Wunderwerk als ein Ungeheures gewahrte, das mich hätte erschrecken müssen, wenn es mir nicht zugleich als ein Geregeltes faßlich und als ein Ausgearbeitetes sogar angenehm vorgekommen wäre.«

‘Dichtung und Wahrheit’, 2. Teil, 9. Buch