Biographie Bertolt Brecht: Augsburg und München
Brechts Schulzeit endet 1917 mit dem Notabitur. Zwar folgt noch die Einschreibung zum Medizinstudium in München – vielleicht ein Versuch, dem drohenden Kriegsdienst zu entgehen, denn Medizinstudenten wurden in aller Regel nicht einberufen. Doch bereits im Frühjahr 1918 muss Brecht sein Studium abbrechen und kehrt als Sanitäter in ein Augsburger Lazarett zurück. In dieser Zeit lernt er auch seine Jugendliebe Paula Banholzer kennen, mit der er den nach Frank Wedekind benannten Sohn Frank (1919-1943) bekommt.
Der früh wahrgenommene Konflikt zwischen seiner eigenen Herkunft und seinen Prinzipien und Idealen zieht sich auch von Beginn an durch sein schriftstellerisches Schaffen. So beschreibt er seinen ‚Klassenwechsel’ in dem folgenden Gedicht:
Verjagt mit gutem Grund
Ich bin aufgewachsen als Sohn
Wohlhabender Leute. Meine Eltern haben mir
Einen Kragen umgebunden und mich erzogen
In den Gewohnheiten des Bedientwerdens
Und unterrichtet in der Kunst des Befehlens. Aber
Als ich erwachsen war und um mich sah
Gefielen mir die Leute meiner Klasse nicht
Nicht das Befehlen und nicht das Bedientwerden
Und ich verließ meine Klasse und gesellte mich
Zu den geringen Leuten.
Brecht in München (1917-1924)
Die Zeit von 1917 bis 1924 verbringt Brecht abwechselnd in Augsburg und in München, wo er sich einen neuen Kreis zu schaffen gedenkt, wie er ihn in Augsburg seit seiner Schulzeit längst hat. Ein solcher Kreis von Freunden, Gesinnungsgenossen und Verehrern wird zeitlebens typisch sein für Brecht – in „seinem“ Kreis fühlt er sich wohl, hier lebt er sich und seine Arbeit nach allen Regeln der Kunst aus, hier singt und textet er und hier inszeniert er im Kleinen das, was auf der großen Weltbühne immer wieder scheitert: ein Miteinander nach den Grundsätzen von Gleichheit und Freiheit, so will es jedenfalls Brecht.
In München findet er Zugang zum Kutscher-Kreis um den Theaterwissenschaftler Arthur Kutscher (1878-1960), wo er nicht nur Frank Wedekind kennenlernt, sondern auch mit Kutschers Freund Hanns Johst zusammentrifft, den späteren Leiter der NS-Reichsschriftkammer. Johst hatte 1917 das expressionistische Drama Der Einsame um den fast schon vergessenen Christian Dietrich Grabbe (1801-1836) veröffentlicht. Dieses Stück missfällt Brecht, sodass er beschließt, ein Gegenstück zu schreiben und (unter Mitarbeit seiner Freunde Caspar Neher und Georg Pfanzelt) seinen Baal verfasst, den er im Winter 1918/19 fertigstellen kann. Verglichen mit der Johstschen Biographie des dem Geniekult geopferten Grabbe ist die Biographie des Baal die eines Wüstlings, Säufers, Lyrikers, Mörders und Vagabunden, der in einfachen Kneipen seine Balladen und Moritaten singt, dabei immer mehr unter die Räder kommt und schließlich in einer Hütte stirbt. Brecht erfindet zusätzlich einen Joseph K., angeblich das ledige Kind einer Waschfrau, der Vorbild für die Figur des Baal gewesen sein soll.