Ungekürztes Werk "Faust 2" von Johann Wolfgang Goethe

Johann Wolfgang Goethe

Faust
Der Tragödie zweiter Teil

In fünf Akten

Erster Akt

Anmutige Gegend    

Kaiserliche Pfalz    Saal des Thrones    

Weitläufiger Saal    

Lustgarten    

Finstere Galerie    

Hell erleuchtete Säle    

Rittersaal   

Zweiter Akt    

Hochgewölbtes, enges gotisches Zimmer    

Laboratorium    

Klassische Walpurgisnacht    Pharsalische Felder    

[Am obern Peneios]    

[Am untern Peneios]    

[Am obern Peneios wie zuvor]    

Felsbuchten des Ägäischen Meers   

Dritter Akt    

Vor dem Palaste des Menelas zu Sparta    

Innerer Burghof    

Der Schauplatz verwandelt sich durchaus   

Vierter Akt    

Hochgebirg    

Auf dem Vorgebirg    

Des Gegenkaisers Zelt   

Fünfter Akt    

Offene Gegend    

Palast     

Tiefe Nacht    

Mitternacht    

Großer Vorhof des Palasts    

Grablegung    

Bergschluchten    


Erster Akt

Anmutige Gegend

Faust, auf blumigen Rasen gebettet, ermüdet, unruhig,

schlafsuchend. Dämmerung.

Geisterkreis, schwebend bewegt, anmutige kleine Gestalten.

ARIEL, Gesang, von Äolsharfen begleitet.

Wenn der Blüten Frühlingsregen

Über alle schwebend sinkt,

Wenn der Felder grüner Segen

Allen Erdgebornen blinkt,

Kleiner Elfen Geistergröße

Eilet, wo sie helfen kann;

Ob er heilig, ob er böse,

Jammert sie der Unglücksmann.

Die ihr dies Haupt umschwebt im luftgen Kreise,

Erzeigt euch hier nach edler Elfen Weise:

Besänftiget des Herzens grimmen Strauß!

Entfernt des Vorwurfs glühend-bittre Pfeile,

Sein Innres reinigt von erlebtem Graus!

Vier sind die Pausen nächtiger Weile:

Nun ohne Säumen füllt sie freundlich aus!

Erst senkt sein Haupt aufs kühle Polster nieder,

Dann badet ihn im Tau aus Lethes Flut!

Gelenk sind bald die krampferstarrten Glieder,

Wenn er gestärkt dem Tag entgegenruht.

Vollbringt der Elfen schönste Pflicht:

Gebt ihn zurück dem heiligen Licht!

CHOR, einzeln, zu zweien und vielen, abwechselnd und gesammelt.

Wenn sich lau die Lüfte füllen

Um den grünumschränkten Plan,

Süße Düfte, Nebelhüllen

Senkt die Dämmerung heran,

Lispelt leise süßen Frieden,

Wiegt das Herz in Kindesruh,

Und den Augen dieses Müden

Schließt des Tages Pforte zu.

Nacht ist schon hereingesunken,

Schließt sich heilig Stern an Stern,

Große Lichter, kleine Funken

Glitzern nah und glänzen fern,

Glitzern hier im See sich spiegelnd,

Glänzen droben klarer Nacht;

Tiefsten Ruhens Glück besiegelnd,

Herrscht des Mondes volle Pracht.

Schon verloschen sind die Stunden,

Hingeschwunden Schmerz und Glück;

Fühl es vor: du wirst gesunden!

Traue neuem Tagesblick!

Täler grünen, Hügel schwellen,

Buschen sich zu Schattenruh,

Und in schwanken Silberwellen

Wogt die Saat der Ernte zu.

Wunsch um Wünsche zu erlangen,

Schaue nach dem Glanze dort!

Leise bist du nur umfangen,

Schlaf ist Schale, wirf sie fort!

Säume nicht, dich zu erdreisten,

Wenn die Menge zaudernd schweift!

Alles kann der Edle leisten,

Der versteht und rasch ergreift.

Ungeheures Getöse verkündet das Herannahen der Sonne.

ARIEL. Horchet! horcht dem Sturm der Horen!

Tönend wird für Geistesohren

Schon der neue Tag geboren.

Felsentore knarren rasselnd,

Phöbus’ Räder rollen prasselnd,

Welch Getöse bringt das Licht!

Es trommetet, es posaunet,

Auge blinzt, und Ohr erstaunet,

Unerhörtes hört sich nicht.

Schlüpfet zu den Blumenkronen,

Tiefer tiefer, still zu wohnen,

In die Felsen, unters Laub!

Trifft es euch, so seid ihr taub.

FAUST. Des Lebens Pulse schlagen frisch-lebendig,

Ätherische Dämmerung milde zu begrüßen;

Du, Erde, warst auch diese Nacht beständig

Und atmest neu erquickt zu meinen Füßen,

Beginnest schon mit Lust mich zu umgeben,

Du regst und rührst ein

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