Ungekürztes Werk "Faust 2" von Johann Wolfgang Goethe (Seite 2)

kräftiges Beschließen,

Zum höchsten Dasein immer fortzustreben. –

In Dämmerschein liegt schon die Welt erschlossen,

Der Wald ertönt von tausendstimmigem Leben;

Talaus, talein ist Nebelstreif ergossen,

Doch senkt sich Himmelsklarheit in die Tiefen,

Und Zweig und Äste, frisch erquickt, entsprossen

Dem duftgen Abgrund, wo versenkt sie schliefen;

Auch Farb an Farbe klärt sich los vom Grunde,

Wo Blum und Blatt von Zitterperle triefen:

Ein Paradies wird um mich her die Runde.

Hinaufgeschaut! – Der Berge Gipfelriesen

Verkünden schon die feierlichste Stunde;

Sie dürfen früh des ewigen Lichts genießen,

Das später sich zu uns herniederwendet.

Jetzt zu der Alpe grüngesenkten Wiesen

Wird neuer Glanz und Deutlichkeit gespendet,

Und stufenweis herab ist es gelungen –

Sie tritt hervor! – und leider schon geblendet,

Kehr ich mich weg, vom Augenschmerz durchdrungen.

So ist es also, wenn ein sehnend Hoffen

Dem höchsten Wunsch sich traulich zugerungen,

Erfüllungspforten findet flügeloffen;

Nun aber bricht aus jenen ewigen Gründen

Ein Flammenübermaß, wir stehn betroffen:

Des Lebens Fackel wollten wir entzünden,

Ein Feuermeer umschlingt uns, welch ein Feuer!

Ists Lieb? ists Haß? die glühend uns umwinden,

Mit Schmerz- und Freuden wechselnd ungeheuer,

So daß wir wieder nach der Erde blicken,

Zu bergen uns in jugendlichstem Schleier.

So bleibe denn die Sonne mir im Rücken!

Der Wassersturz, das Felsenriff durchbrausend,

Ihn schau ich an mit wachsendem Entzücken.

Von Sturz zu Sturzen wälzt er jetzt in tausend,

Dann abertausend Strömen sich ergießend,

Hoch in die Lüfte, Schaum an Schäume sausend.

Allein wie herrlich, diesem Sturm ersprießend,

Wölbt sich des bunten Bogens Wechseldauer,

Bald rein gezeichnet, bald in Luft zerfließend,

Umher verbreitend duftig-kühle Schauer!

Der spiegelt ab das menschliche Bestreben.

Ihm sinne nach, und du begreifst genauer:

Am farbigen Abglanz haben wir das Leben.

 

Kaiserliche Pfalz

 

Saal des Thrones

Staatsrat in Erwartung des Kaisers.

Trompeten. Hofgesinde aller Art, prächtig gekleidet, tritt vor.

Der Kaiser gelangt auf den Thron, zu seiner Rechten der Astrolog.

KAISER. Ich grüße die Getreuen, Lieben,

Versammelt aus der Näh und Weite. –

Den Weisen seh ich mir zur Seite,

Allein wo ist der Narr geblieben?

JUNKER. Gleich hinter deiner Mantelschleppe

Stürzt er zusammen auf der Treppe;

Man trug hinweg das Fettgewicht:

Tot oder trunken? weiß man nicht.

ZWEITER JUNKER. Sogleich mit wunderbarer Schnelle

Drängt sich ein andrer an die Stelle.

Gar köstlich ist er aufgeputzt,

Doch fratzenhaft, daß jeder stutzt;

Die Wache hält ihm an der Schwelle

Kreuzweis die Hellebarden vor –

Da ist er doch, der kühne Tor!

MEPHISTOPHELES am Throne knieend.

Was ist verwünscht und stets willkommen?

Was ist ersehnt und stets verjagt?

Was immerfort in Schutz genommen?

Was hart gescholten und verklagt?

Wen darfst du nicht herbeiberufen?

Wen höret jeder gern genannt?

Was naht sich deines Thrones Stufen?

Was hat sich selbst hinweggebannt?

KAISER. Für diesmal spare deine Worte!

Hier sind die Rätsel nicht am Orte,

Das ist die Sache dieser Herrn. –

Da löse du! das hört ich gern:

Mein alter Narr ging, fürcht ich, weit ins Weite;

Nimm seinen Platz und komm an meine Seite!

Mephistopheles steigt hinauf und stellt sich zur Linken.

GEMURMEL DER MENGE. Ein

Seiten