Interpretation: Lyrik (Einführung) Bertolt Brecht

Brechts Lyrik zeichnet sich a priori durch zwei Eigenschaften aus: Zum einen haben auch seine Gedichte jenen epischen Charakter, der von den Brechtschen Theaterstücken her mehr als vertraut ist, und zum anderen verzichten gerade seine Lehrgedichte auf das eigentlich unverzichtbare lyrische Ich. Diese Lehrgedichte, deren Titel wie Postille, Lesebuch, Exerzitium oder Fibel das pädagogisch-didaktisch ausgerichtete Lehrkonzept verraten, folgen dennoch keinem statischen Schema, sondern unterliegen Veränderungen und Wandlungen. Das Wesentliche ist dabei der Gebrauchswert des Gedichtes, wie Brecht in n seinem berühmten Aufsatz Kurzer Bericht über 400 (vierhundert) junge Lyriker (1927) beschreibt. Neben dem Gebrauchswert verfügt das Gedicht als skizzierte Momentaufnahme per se auch über einen dokumentarischen Wert, und so wundert es kaum, dass Brecht unzählige Momente seines Lebens in dieser Form festgehalten hat; etwa 2.300 Gedichte enthalten die einschlägigen Berliner und Frankfurter Ausgaben. Ein weiteres Merkmal sind, wie bei vielen anderen zeitgenössischen Dichtern auch, die vielseitig gestalteten, oft in unregelmäßigen Rhythmen gehaltenen freien, also reimlosen Verse. Daneben weisen Brechts Gedichte auch eine sprachliche Besonderheit auf, nämlich die ungewöhnlich häufige Verwendung des participium praesentis (wartend, fragend, lebend), das das so gestaltete Verb in einen Schwebezustand versetzt, der sich erfolgreich gegen Abgeschlossenheit zur Wehr setzt.

Rund 1000 der Brechtschen Gedichte sind oder waren als Lieder konzipiert, denn für Brecht war die Vertonung seiner Gedichte immer ein wichtiger, wenn nicht gar wesentlicher Aspekt. Inwieweit bei diesen Vertonungen auch die Komponisten Einfluss genommen haben auf die Textgestalt, lässt sich heute natürlich nicht mehr belegen, allerdings geht die Forschung davon aus, dass trotzdem der größte Teil der Verse aus Brechts Feder stammt.

Die wichtigsten Gedichtsammlungen Brechts sind Die Hauspostille (1927), Die Songs der Dreigroschenoper (1928), Lieder, Gedichte, Chöre (1934) und Svendborger Gedichte (1939).