Biographie Johann Wolfgang Goethe (Seite 5)

Doch wiederum kündigt sich eine seelische Krise an, wohl weil Goethe spürt, wie er seine Kräfte zwischen Verwaltungsarbeiten und dem oberflächlichen Hofleben verzehrt. Auch die Aussichtslosigkeit seiner Beziehung zur Frau von Stein macht ihm seinen Aufenthalt am Hof zunehmend unerträglich. So bittet er den Herzog um Urlaub auf unbestimmte Zeit und bricht, ohne selbst der Vertrauten Charlotte ein Wort über seine Pläne zu verraten, am 3. September 1786 heimlich zu seiner großen Italienreise auf.

Italien. 1786 – 1788
In Italien, wo er sich – wie er selbst sagt – zum ersten und einzigen Mal wirklich zu Hause fühlte, beeindruckt ihn vor allem die Antike; Kunst und Architektur der Renaissance und des Barock beachtet er dagegen kaum. Als antikisch empfindet er auch seine römische Geliebte, die er später in seinen Römischen Elegien als Faustina besingt – die Begegnung mit ihr soll das erste wirklich erotische Ereignis im Leben des Enddreißigers gewesen sein. Das ist so unwahrscheinlich nicht: Die Zeit der Empfindsamkeit, in der Goethe erwachsen wird, ist eine Zeit der großen Worte über Seelenliebe bei gleichzeitiger Vergötterung der weiblichen Tugend. Wieland, der in seinen Romanen sehr freizügig Erotik und antikes Hetärentum gepriesen hat, wird bereits als 'unzüchtig' abgelehnt. Es ist eine Zeit unerbittlicher Prüderie, zumindest in der bürgerlichen Welt, aus der Goethe ja stammt. In der römischen Faustina findet Goethe wohl erstmals eine Beziehung, in der sich Sinnliches und Seelisches harmonisch vereinen. Eine Harmonie, die auch für seine neue, 'klassische' Ästhetik wegweisend sein sollte.

Goethe zeichnet in Italien viel und pflegt intensiven Umgang mit den dort lebenden deutschen Malern, vor allem mit Johann Heinrich Wilhelm Tischbein und mit der zu ihrer Zeit hochberühmten Angelika Kauffmann. Naturwissenschaft und Literatur vergisst er dabei allerdings nicht: In Palermo glaubt er, die Ur-Pflanze entdeckt zu haben, und zwischendurch schreibt er die Neufassung seiner Iphigenie in Jamben, vollendet den Egmont und arbeitet am Tasso, in welchem er seinem Erlebnis mit Charlotte von Stein literarischen Ausdruck verleiht. Auch beginnt er, von dem damals in Rom lebenden Karl Philipp Moritz beraten, sich im antiken Versmaß des Hexameters zu üben.

Goethe in der Campagna di Roma.
Goethe in der Campagna di Roma.
Ölgemälde von Johann Heinrich Wilhelm Tischbein, 1786/88. »Es gibt ein schönes Bild, nur zu groß für unsere nordischen Wohnungen. Ich werde wohl wieder dort unterkriechen, das Porträt aber wird keinen Platz finden«. ‘Italiänische Reise’, Erster Teil (29. Dezember 1786)

»Trient, den 11. September, früh [...] Und nun, wenn es Abend wird, bei der milden Luft wenige Wolken an den Bergen ruhen, am Himmel mehr stehen als ziehen, und gleich nach Sonnenuntergang das Geschrille der Heuschrecken laut zu werden anfängt, da fühlt man sich doch einmal in der Welt zu Hause und nicht wie geborgt oder im Exil. Ich lasse mir’s gefallen, als wenn ich hier geboren und erzogen wäre und nun von einer Grönlandfahrt, von einem Walfischfange zurückkäme.«

‘Italiänische Reise’, Erster Teil

’Äskulap-Tempel’ im Garten der Villa Borghese. Zeichnung Goethes, um 1788
’Äskulap-Tempel’ im Garten der Villa Borghese. Zeichnung Goethes, um 1788. Für den Bau von 1787 wurde teilweise antikes Material verwendet.

»Die Klarheit der Ansicht, die Heiterkeit der Aufnahme, die Leichtigkeit der Mitteilung, das ist es, was uns entzückt; und wenn wir nun behaupten, dieses alles finden wir in den echt griechischen Werken, und zwar geleistet am edelsten Stoff, am würdigsten Gehalt, mit sicherer und vollendeter Ausführung, so wird man uns verstehen, wenn wir immer von dort ausgehen und immer dort hinweisen. Jeder sei auf seine Art ein Grieche! Aber er sei’s.«

J. W. Goethe: »Antik und modern« (1818)

Goethe am Fenster seiner Wohnung in Rom
»Goethe am Fenster seiner Wohnung in Rom«. Aquarellierte Tuschzeichnung von Johann Heinrich Wilhelm Tischbein, 1787

»Tischbeins Talente sowie seine Vorsätze und Kunstabsichten lerne ich nun immer mehr kennen und schätzen. Er legte mir seine Zeichnungen und Skizzen vor, welche sehr viel Gutes geben und verkünden.

‘Italiänische Reise’. Erster Teil (7. November 1786)

»Von Tischbein muß ich noch vieles erzählen und rühmen, wie ganz original deutsch er sich aus sich selbst herausbildete, sodann aber dankbar melden, daß er die Zeit seines zweiten Aufenthalts in Rom über für mich gar freundschaftlich gesorgt hat«.

‘Italiänische Reise’. Erster Teil (29. Dezember 1786)

Illustration zur 3. Szene des 3. Aktes von Goethes Iphigenie auf Tauris
Illustration zur 3. Szene des 3. Aktes von Goethes Iphigenie auf Tauris. Kreidezeichnung mit Weißhöhung von Angelika Kauffmann (1741 – 1807), 1787

»Vor meiner Abreise nach Neapel konnte ich einer nochmaligen Vorlesung meiner ‘Iphigenia’ nicht entgehen. [...] Die zarte Seele Angelika nahm das Stück mit unglaublicher Innigkeit auf; sie versprach mir eine Zeichnung daraus aufzustellen, die ich zum Andenken besitzen sollte.«

‘Italiänische Reise’. Erster Teil (15. Februar 1787)