Ungekürztes Werk "Torquato Tasso" von Johann Wolfgang Goethe (Seite 39)
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Die tausendfältigen Gedanken vieler
Verschiedner Menschen, die im Leben sich
Und in der Meinung widersprechen, faßt
Der Dichter klug in eins und scheut sich nicht,
Gar manchem zu mißfallen, daß er manchem
Um desto mehr gefallen möge. Doch
Ich sage nicht, daß du nicht hie und da
Bescheiden deine Feile brauchen solltest;
Verspreche dir zugleich, in kurzer Zeit
Erhältst du abgeschrieben dein Gedicht.
Es bleibt von deiner Hand in meinen Händen,
Damit ich seiner erst mit meinen Schwestern
Mich recht erfreuen möge. Bringst du es
Vollkommner dann zurück, wir werden uns
Des höheren Genusses freun und dich
Bei mancher Stelle nur als Freunde warnen.
Tasso:
Ich wiederhole nur beschämt die Bitte:
Laß mich die Abschrift eilig haben. Ganz
Ruht mein Gemüt auf diesem Werke nun.
Nun muß es werden, was es werden kann.
Alfons:
Ich billige den Trieb, der dich beseelt!
Doch, guter Tasso, wenn es möglich wäre,
So solltest du erst eine kurze Zeit
Der freien Welt genießen, dich zerstreuen,
Dein Blut durch eine Kur verbessern. Dir
Gewährte dann die schöne Harmonie
Der hergestellten Sinne, was du nun
Im trüben Eifer nur vergebens suchst.
Tasso:
Mein Fürst, so scheint es; doch, ich bin gesund,
Wenn ich mich meinem Fleiß ergeben kann,
Und so macht wieder mich mein Fleiß gesund.
Du hast mich lang gesehn, mir ist nicht wohl
In freier Üppigkeit. Mir läßt die Ruh
Am mindsten Ruhe. Dies Gemüt ist nicht
Von der Natur bestimmt, ich fühl es leider,
Auf weichem Element der Tage froh
Ins weite Meer der Zeiten hinzuschwimmen.
Alfons:
Dich führet alles, was du sinnst und treibst,
Tief in dich selbst. Es liegt um uns herum
Gar mancher Abgrund, den das Schicksal grub;
Doch hier in unserm Herzen ist der tiefste,
Und reizend ist es, sich hinabzustürzen.
Ich bitte dich, entreiße dich dir selbst!
Der Mensch gewinnt, was der Poet verliert.
Tasso:
Ich halte diesen Drang vergebens auf,
Der Tag und Nacht in meinem Busen wechselt.
Wenn ich nicht sinnen oder dichten soll,
So ist das Leben mir kein Leben mehr.
Verbiete du dem Seidenwurm zu spinnen,
Wenn er sich schon dem Tode näher spinnt.
Das köstliche Geweb entwickelt er
Aus seinem Innersten und läßt nicht ab,
Bis er in seinen Sarg sich eingeschlossen.
O geb ein guter Gott uns auch dereinst
Das Schicksal des beneidenswerten Wurms,
Im neuen Sonnental die Flügel rasch
Und freudig zu entfalten!
Alfons: Höre mich!
Du gibst so vielen doppelten Genuß
Des Lebens; lern, ich bitte dich,
Den Wert des Lebens kennen, das du noch
Und zehnfach reich besitzest. Lebe wohl!
Je eher du zu uns zurücke kehrst,
Je schöner wirst du uns willkommen sein.
Dritter Auftritt
Tasso allein:
So halte fest, mein Herz, so war es recht!
Es wird dir schwer, es ist das erstemal,
Daß du dich so verstellen magst und kannst.
Du hörtest wohl, das war nicht sein Gemüt,
Das waren seine Worte nicht; mir schien,
Als klänge nur Antonios Stimme wider.
O gib nur acht! Du wirst sie nun so fort
Von allen Seiten hören. Fest, nur fest!
Um einen Augenblick ist’s noch zu tun.
Wer spät im Leben sich verstellen lernt,
Der hat den Schein der Ehrlichkeit voraus.
Es wird schon gehn, nur übe dich mit ihnen.
Nach einer Pause:
Du triumphierst zu früh, dort kommt sie her!
Die holde Fürstin kommt! O welch Gefühl!
Sie tritt herein; es löst in meinem Busen
Verdruß und Argwohn sich in Schmerzen auf.
Vierter Auftritt
Prinzessin. Tasso.
Gegen das Ende des Auftritts die übrigen
Prinzessin:
Du denkst uns zu verlassen, oder bleibst
Vielmehr in Belriguardo noch zurück
Und