Ungekürztes Werk "Torquato Tasso" von Johann Wolfgang Goethe (Seite 37)

fleißig frage, was den andern nützt.

Wer seinen Geist so viel gebildet hat,

Wer jede Wissenschaft zusammengeizt

Und jede Kenntnis, die uns zu ergreifen

Erlaubt ist, sollte der sich zu beherrschen

Nicht doppelt schuldig sein? Und denkt er dran?

Alfons:

Wir sollen eben nicht in Ruhe bleiben!

Gleich wird uns, wenn wir zu genießen denken,

Zur Übung unsrer Tapferkeit ein Feind,

Zur Übung der Geduld ein Freund gegeben.

Antonio:

Die erste Pflicht des Menschen, Speis und Trank

Zu wählen, da ihn die Natur so eng

Nicht wie das Tier beschränkt, erfüllt er die?

Und läßt er nicht vielmehr sich wie ein Kind

Von allem reizen, was dem Gaumen schmeichelt?

Wann mischt er Wasser unter seinen Wein?

Gewürze, süße Sachen, stark Getränke,

Eins um das andre schlingt er hastig ein,

Und dann beklagt er seinen trüben Sinn,

Sein feurig Blut, sein allzu heftig Wesen

Und schilt auf die Natur und das Geschick.

Wie bitter und wie töricht hab ich ihn

Nicht oft mit seinem Arzte rechten sehn;

Zum Lachen fast, wär irgend lächerlich,

Was einen Menschen quält und andre plagt.

“Ich fühle dieses Übel”, sagt er bänglich,

Und voll Verdruß: “Was rühmt Ihr Eure Kunst?

Schafft mir Genesung!” – “Gut!” versetzt der Arzt,

“So meidet das und das.” – “Das kann ich nicht.” –

“So nehmet diesen Trank.” – “O nein! der schmeckt

Abscheulich, er empört mir die Natur.” –

“So trinkt denn Wasser!” – “Wasser? Nimmermehr!

Ich bin so wasserscheu als ein Gebißner.” –

“So ist Euch nicht zu helfen.” – “Und warum?” –

“Das Übel wird sich stets mit Übeln häufen

Und, wenn es Euch nicht töten kann, nur mehr

Und mehr mit jedem Tag Euch quälen.” – “Schön!

Wofür seid Ihr ein Arzt? Ihr kennt mein Übel;

Ihr solltet auch die Mittel kennen, sie

Auch schmackhaft machen, daß ich nicht noch erst,

Der Leiden los zu sein, recht leiden müsse.”

Du lächelst selbst, und doch ist es gewiß.

Du hast es wohl aus seinem Mund gehört?

Alfons:

Ich hab es oft gehört und oft entschuldigt.

Antonio:

Es ist gewiß, ein ungemäßigt Leben,

Wie es uns schwere wilde Träume gibt,

Macht uns zuletzt am hellen Tage träumen.

Was ist sein Argwohn anders als ein Traum?

Wohin er tritt, glaubt er von Feinden sich

Umgeben. Sein Talent kann niemand sehn,

Der ihn nicht neidet, niemand ihn beneiden,

Der ihn nicht haßt und bitter ihn verfolgt.

So hat er oft mit Klagen dich belästigt:

Erbrochne Schlösser, aufgefangne Briefe

Und Gift und Dolch! Was alles vor ihm schwebt!

Du hast es untersuchen lassen, untersucht,

Und hast du was gefunden? Kaum den Schein.

Der Schutz von keinem Fürsten macht ihn sicher,

Der Busen keines Freundes kann ihn laben.

Und willst du einem solchen Ruh und Glück,

Willst du von ihm wohl Freude dir versprechen?

Alfons:

Du hättest recht, Antonio, wenn in ihm

Ich meinen nächsten Vorteil suchen wollte!

Zwar ist es schon mein Vorteil, daß ich nicht

Den Nutzen grad und unbedingt erwarte.

Nicht alles dienet uns auf gleiche Weise;

Wer vieles brauchen will, gebrauche jedes

In seiner Art, so ist er wohl bedient.

Das haben uns die Medicis gelehrt,

Das haben uns die Päpste selbst gewiesen.

Mit welcher Nachsicht, welcher fürstlichen

Geduld und Langmut trugen diese Männer

Manch groß Talent, das ihrer reichen Gnade

Nicht zu bedürfen schien und doch bedurfte!

Antonio:

Wer weiß es nicht, mein Fürst? Des Lebens Mühe

Lehrt uns allein des Lebens Güter schätzen.

So jung hat er zu vieles schon erreicht,

Als daß genügsam er genießen könnte.

O sollt er erst

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