Ungekürztes Werk "Torquato Tasso" von Johann Wolfgang Goethe (Seite 36)

– Du armes Herz,

Dem so natürlich war, sie zu verehren! –

Vernahm ich ihre Stimme, wie durchdrang

Ein unaussprechliches Gefühl die Brust!

Erblickt ich sie, da ward das helle Licht

Des Tags mir trüb; unwiderstehlich zog

Ihr Auge mich, ihr Mund mich an, mein Knie

Erhielt sich kaum, und aller Kraft

Des Geists bedurft ich, aufrecht mich zu halten,

Vor ihre Füße nicht zu fallen; kaum

Vermocht ich diesen Taumel zu zerstreun.

Hier halte fest, mein Herz! Du klarer Sinn,

Laß hier dich nicht umnebeln! Ja, auch sie!

Darf ich es sagen? und ich glaub es kaum;

Ich glaub es wohl, und möcht es mir verschweigen.

Auch sie! auch sie! Entschuldige sie ganz,

Allein verbirg dir’s nicht: auch sie! auch sie!

 

O dieses Wort, an dem ich zweifeln sollte,

Solang ein Hauch von Glauben in mir lebt,

Ja, dieses Wort, es gräbt sich wie ein Schluß

Des Schicksals noch zuletzt am ehrnen Rande

Der vollgeschriebnen Qualentafel ein.

Nun sind erst meine Feinde stark, nun bin ich

Auf ewig einer jeden Kraft beraubt.

Wie soll ich streiten, wenn sie gegenüber

Im Heere steht? Wie soll ich duldend harren,

Wenn sie die Hand mir nicht von ferne reicht?

Wenn nicht ihr Blick dem Flehenden begegnet?

Du hast’s gewagt zu denken, hast’s gesprochen,

Und es ist wahr, eh du es fürchten konntest!

Und ehe nun Verzweiflung deine Sinnen

Mit ehrnen Klauen auseinanderreißt,

Ja, klage nur das bittre Schicksal an

Und wiederhole nur: auch sie! auch sie!

FÜNFTER AUFZUG

Erster Auftritt

Garten.

Alfons. Antonio.

Antonio:

Auf deinen Wink ging ich das zweitemal

Zu Tasso hin, ich komme von ihm her.

Ich hab ihm zugeredet, ja gedrungen;

Allein er geht von seinem Sinn nicht ab

Und bittet sehnlich, daß du ihn nach Rom

Auf eine kurze Zeit entlassen mögest.

Alfons:

Ich bin verdrießlich, daß ich dir’s gestehe,

Und lieber sag ich dir, daß ich es bin,

Als daß ich den Verdruß verberg und mehre.

Er will verreisen; gut! ich halt ihn nicht.

Er will hinweg, er will nach Rom; es sei!

Nur daß mir Scipio Gonzaga nicht,

Der kluge Medicis ihn nicht entwende!

Das hat Italien so groß gemacht,

Daß jeder Nachbar mit dem andern streitet,

Die Bessern zu besitzen, zu benutzen.

Ein Feldherr ohne Heer scheint mir ein Fürst,

Der die Talente nicht um sich versammelt:

Und wer der Dichtkunst Stimme nicht vernimmt,

Ist ein Barbar, er sei auch, wer er sei.

Gefunden hab ich diesen und gewählt,

Ich bin auf ihn als meinen Diener stolz,

Und da ich schon für ihn so viel getan,

So möcht ich ihn nicht ohne Not verlieren.

Antonio:

Ich bin verlegen, denn ich trage doch

Vor dir die Schuld von dem, was heut geschah;

Auch will ich meinen Fehler gern gestehn,

Er bleibet deiner Gnade zu verzeihn:

Doch wenn du glauben könntest, daß ich nicht

Das Mögliche getan, ihn zu versöhnen,

So würd ich ganz untröstlich sein. Oh! sprich

Mit holdem Blick mich an, damit ich wieder

Mich fassen kann, mir selbst vertrauen mag.

Alfons:

Antonio, nein, da sei nur immer ruhig,

Ich schreib es dir auf keine Weise zu;

Ich kenne nur zu gut den Sinn des Mannes

Und weiß nur allzu wohl, was ich getan,

Wie sehr ich ihn geschont, wie sehr ich ganz

Vergessen, daß ich eigentlich an ihn

Zu fordern hätte. Über vieles kann

Der Mensch zum Herrn sich machen, seinen Sinn

Bezwinget kaum die Not und lange Zeit.

Antonio:

Wenn andre vieles um den einen tun,

So ist’s auch billig, daß der eine wieder

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