Ungekürztes Werk "Der Scheich von Alexandria und seine Sklaven" von Wilhelm Hauff (Seite 4)

sein. Sie hatten ihren Sultan umgebracht, und die Paschas und die Reichen und die Armen schlugen einander die Köpfe ab, und es war keine Ordnung mehr im Lande. Vergeblich suchten sie in jeder Stadt nach dem kleinen Kairam; niemand wollte von ihm wissen, und der fränkische Doktor riet endlich dem Scheich, sich einzuschiffen, weil sie sonst wohl selbst noch um ihre Köpfe kommen könnten.

So kamen sie wieder zurück, und seit seiner Ankunft hat der Scheich gelebt wie an diesem Tage, denn er trauert um seinen Sohn, und er hat recht. Muß er nicht, wenn er ißt und trinkt, denken: Jetzt muß vielleicht mein armer Kairam hungern und dürsten? Und wenn er sich bekleidet mit reichen Schals und Festkleidern, wie es sein Amt und seine Würde wollen, muß er nicht denken: Jetzt hat er wohl nichts, womit er seine Blöße deckt? Und wenn er umgeben ist von Sängern und Tänzern und Vorlesern, seinen Sklaven, denkt er da nicht: Jetzt muß wohl mein armer Sohn seinem fränkischen Gebieter Sprünge vormachen und musizieren, wie er es haben will? Und was ihm den größten Kummer macht: er glaubt, der kleine Kairam werde, so weit vom Lande seiner Väter und mitten unter Ungläubigen, die seiner spotten, abtrünnig werden vom Glauben seiner Väter, und er werde ihn einst nicht umarmen können in den Gärten des Paradieses!

Darum ist er auch so mild gegen seine Sklaven und gibt große Summen an die Armen, denn er denkt, Allah werde es vergelten und das Herz seiner fränkischen Herren rühren, daß sie seinen Sohn mild behandeln. Auch gibt er jedesmal, wenn der Tag kommt, an welchem ihm sein Sohn entrissen wurde, zwölf Sklaven frei.«

»Davon habe ich auch schon gehört«, entgegnete der Schreiber; »aber man trägt sich mit wunderlichen Reden. Von seinem Sohn wurde dabei nichts erwähnt, wohl aber sagt man, er sei ein sonderbarer Mann und ganz besonders erpicht auf Erzählungen. Da soll er jedes Jahr unter seinen Sklaven einen Wettstreit anstellen, und wer am besten erzählt, den gibt er frei.«

»Verlaßt euch nicht auf das Gerede der Leute«, sagte der alte Mann; »es ist so, wie ich es sage, und ich weiß es genau. Möglich ist, daß er sich an diesem schweren Tage aufheitern will und sich Geschichten erzählen läßt; doch gibt er sie frei um seines Sohnes willen. Doch der Abend wird kühl, und ich muß weitergehen. Salem aleikum; Friede sei mit euch, ihr jungen Herren, und denkt in Zukunft besser von dem guten Scheich!«

Die jungen Leute dankten dem Alten für seine Nachrichten, schauten noch einmal nach dem trauernden Vater und gingen die Straße hinab, indem sie zueinander sprachen: »Ich möchte doch nicht der Scheich Ali Banu sein.«

Nicht lange Zeit nachdem diese jungen Leute mit dem alten Mann über den Scheich Ali Banu gesprochen hatten, traf es sich, daß sie um die Zeit des Morgengebets wieder diese Straße gingen. Da fielen ihnen der alte Mann und seine Erzählung ein, und sie beklagten zusammen den Scheich und blickten nach seinem Hause. Aber wie staunten sie, als sie dort alles aufs herrlichste

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