Ungekürztes Werk "Die Karawane" von Wilhelm Hauff (Seite 2)

hatte seine Leute als Wachen ausgestellt; er selbst hielt mit dem Fremden, um die Karawane herankommen zu lassen. Dreißig Kamele, schwer beladen, zogen vorüber, von bewaffneten Führern geleitet. Nach diesen kamen auf schönen Pferden die fünf Kaufleute, denen die Karawane gehörte. Es waren meistens Männer von vorgerücktem Alter, ernst und gesetzt aussehend; nur einer schien viel jünger als die übrigen wie auch froher und lebhafter. Eine große Anzahl Kamele und Packpferde schloß den Zug.

Man hatte Zelte aufgeschlagen und die Kamele und Pferde rings umher gestellt. In der Mitte war ein großes Zelt von blauem Seidenzeug. Dorthin führte der Anführer der Wache den Fremden. Als sie durch den Vorhang des Zeltes getreten waren, sahen sie die fünf Kaufleute auf goldgewirkten Polstern sitzen; schwarze Sklaven reichten ihnen Speisen und Getränke.

»Wen bringt Ihr uns da?« rief der junge Kaufmann dem Führer zu.

Ehe noch der Führer antworten konnte, sprach der Fremde: »Ich heiße Selim Baruch und bin aus Bagdad; ich wurde auf einer Reise nach Mekka von einer Räuberhorde gefangen und habe mich vor drei Tagen heimlich aus der Gefangenschaft befreit. Der große Prophet ließ mich die Glocken eurer Karawane in weiter Ferne hören, und so kam ich bei euch an. Erlaubt mir, daß ich in eurer Gesellschaft reise; ihr werdet euren Schutz keinem Unwürdigen schenken, und so ihr nach Bagdad kommt, werde ich eure Güte reichlich belohnen, denn ich bin der Neffe des Großwesirs.«

Der älteste der Kaufleute nahm das Wort: »Selim Baruch«, sprach er, »sei willkommen in unserem Schatten. Es macht uns Freude, dir beizustehen; vor allem aber setz dich und iß und trink mit uns.«

Selim Baruch setzte sich zu den Kaufleuten und aß und trank mit ihnen. Nach dem Essen räumten die Sklaven die Geschirre hinweg und brachten lange Pfeifen und türkischen Sorbett. Die Kaufleute sa­ßen lange schweigend, indem sie die bläulichen Rauchwolken vor sich hinbliesen und zusahen, wie sie sich ringelten und verzogen und endlich in die Luft verschwebten.

Der junge Kaufmann brach endlich das Stillschweigen. »So sitzen wir seit drei Tagen«, sprach er, »zu Pferd und am Tisch, ohne uns durch etwas die Zeit zu vertreiben. Ich verspüre gewaltige Langeweile, denn ich bin gewohnt, nach Tisch Tänzer zu sehen oder Gesang und Musik zu hören. Wißt ihr gar nichts, meine Freunde, das uns die Zeit vertreibe?«

Die vier älteren Kaufleute rauchten fort und schienen ernsthaft nachzusinnen; der Fremde aber sprach: »Wenn es mir erlaubt ist, will ich euch einen Vorschlag machen. Ich meine, auf jedem Lagerplatz könnte einer von uns den anderen etwas erzählen. Dies könnte uns schon die Zeit vertreiben.«

»Selim Baruch, du hast wahr gesprochen«, sagte Achmed, der älteste der Kaufleute; »laßt uns den Vorschlag annehmen.«

»Es freut mich, wenn euch der Vorschlag behagt«, sprach Selim. »Damit ihr aber sehet, daß ich nichts Unbilliges verlange, so will ich den Anfang machen.«

Vergnügt rückten die fünf Kaufleute näher zusammen und ließen den Fremden in ihre Mitte sitzen. Die Sklaven schenkten die Becher wieder voll, stopften die Pfeifen ihrer Herren frisch und brachten glühende Kohlen zum Anzünden. Selim aber erfrischte seine Stimme mit einem tüchtigen

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