Interpretation "Der gute Gott von Manhattan" von Ingeborg Bachmann (Seite 2)

Der weiblichen Figur wird die Rolle der selbstlos Liebenden zugewiesen, die bereit ist, sich selbst zu verleugnen, um die Liebe Jans zu gewinnen. Jan hingegen unterwirft die Frau seinem Anspruch; mittels Sprache und körperlicher Gewalt überträgt er gesellschaftspolitische Herrschaftsverhältnisse auf die Paar-Beziehung. Obwohl beide zurückschrecken vor dem Absoluten ihrer Liebe, das entgrenzend und anarchistisch ist, lassen sie sich darauf ein. Die Tragik ihrer Begegnung reiht sie ein in die kulturellen Vorgaben, auch der Liebesverrat steht in dieser Reihe. Bachmann jedoch spielt nicht nur die klassischen Liebessemantiken durch, sondern unterwandert und dekonstruiert sie als von Macht und Herrschaft geformt. Entgrenzung durch Liebe, aus der Ordnung kommen durch Liebe sind zwar Möglichkeiten, aber sie bleiben Utopie, wenn das Individuum nicht bereit ist, sich auf dieses existenzielle Experiment einzulassen. Am Ende bleibt die Ordnung, weil nur in ihr alles stattfinden kann, niemals außerhalb.

Der gute Gott von Manhattan weiß um dieses Dilemma und greift deswegen zum konventionellen Frauenopfer. Auch wenn Jan überlebt, bleibt er in der Mittelmäßigkeit zurück, weil ihm das (Selbst-)Entgrenzende nur mit Jennifer gelungen wäre. Damit rücken beide Positionen innerhalb der Ordnung noch einmal dichter aneinander.

Bachmann beschreibt in ihrem Hörspiel die Macht, die hinter der Liebe steht, und spielt die Formen durch, die den Menschen zur Verfügung stehen. Gleichzeitig benennt sie die Utopie, Neues entwickeln zu wollen, was aber nur mit den Mitteln des Alten, der überlieferten Ordnung, geht. Die Grenzen bleiben bei all dem bestehen, sie dehnen sich aus, aber sie sind nicht zu überwinden.

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