Interpretation "Dantons Tod" von Georg Büchner (Seite 3)

Doch auch diese Mitläufer-Figur ist keineswegs eindimensional gezeichnet. Mag ihre Verhaltensweise nicht gerade heldenhaft erscheinen, so bleiben ihre Beweggründe für den Zuschauer nachvollziehbar. Das entspricht der Konzeption des gesamten Stücks, das die Kategorien gut und böse völlig ausschließt. Selbst Robespierre erleben wir nicht ausschließlich als halsstarrig. In I,6 werden seine Zweifel offenbar: erst nach inneren Kämpfen entschließt er sich zur Liquidierung Dantons und des ihm selber nahestehenden Camille aus der Einsicht, dass der so weit fortgeschrittene Prozeß kein Zurück mehr erlaubt. Zugleich wird ihm die ungeheure Einsamkeit bewusst, die der Preis seiner Unbeugsamkeit ist: "Sie gehen Alle von mir." Der als 'Blutmessias' verschrieene Revolutionsführer erscheint als negative Schöpfer-Instanz. "Alles ist wüst und leer" – der Ausgangszustand der biblischen Schöpfungsgeschichte (Genesis 1,2) bildet hier den Endpunkt der Entwicklung. Doch Danton, sein Gegenspieler, kann kaum als Sympathieträger angesehen werden. Nicht nur, weil er selber an der Errichtung der Schreckensherrschaft beteiligt gewesen ist, sondern vor allem, weil seine resignierend-zynische Haltung wirkliches 'Engagement' vermissen lässt. "Und Frankreich bleibt seinen Henkern?", fragt Philippeau in II,1, worauf Danton erwidert: "Was liegt daran? Die Leute befinden sich ganz wohl dabey. Sie haben Unglück, kann man mehr verlangen um gerührt, edel, tugendhaft oder witzig zu seyn oder um überhaupt keine Langeweile zu haben?"

In der Figur des Danton hat Büchner ein Lebensgefühl vorausgezeichnet, das in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, zumal in Frankreich, zu einem 'Markenzeichen' der Intellektuellen werden sollte: der ennui, der Lebensüberdruss, der aus der Unmöglichkeit erwächst, das eigene Handeln als sinnerfüllt zu erleben. Insofern ist Danton eine äußerst moderne Gestalt. Seine Skepsis richtet sich nicht allein gegen die vorgefundenen Ideologien, sondern in letzter Konsequenz gegen sich selber: "Das Leben ist nicht die Arbeit werth, die man sich macht, es zu erhalten." Auf existentieller Ebene entspricht die Opposition Robespierre/Danton dem Gegensatz Idealismus/Nihilismus, wobei der Text auch hier keine Wertung vornimmt.

Dantons illusionslose Perspektive hat eine verhängnisvolle Lähmung zur Folge: Weder ist er in der Lage, sein Leben und das seiner Freunde zu retten (immer wieder wird er, vergeblich, zur Flucht oder zum Eingreifen aufgefordert), noch vermag er das von ihm erkannte Übel aufzuhalten; sein Tod gerät zu einer stilisierten, sinnentleerten Geste. Andererseits ist es aber gerade sein kühler, alles relativierender Blick, der einen Ausweg aus dogmatischer Erstarrung eröffnet.

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