Interpretation "Berlin Alexanderplatz" von Alfred Döblin (Seite 2)

Zum Schluss lenkt er das Interesse des Lesers von der Handlung auf seine Erzählabsicht. Erst als Biberkopf nach mehreren Schicksalsschlägen zusammengebrochen ist, rettet er seinen Helden; dieser wird Hilfsportier in einer Fabrik, erfährt die menschliche Gemeinschaft als Solidarität. „Wir sind am Ende dieser Geschichte. Sie ist lang geworden, aber sie mußte sich dehnen und immer mehr dehnen, bis sie jenen Höhepunkt erreichte, den Umschlagspunkt, von dem erst Licht auf das Ganze fällt. Wir sind eine dunkle Allee gegangen, keine Laterne brannte zuerst, man wußte nur, hier geht es lang, allmählich wird es heller und heller, zuletzt hängt da die Laterne, und dann liest man endlich unter ihr das Straßenschild. Es war ein Enthüllungsprozess besonderer Art. Franz Biberkopf ging nicht die Straße wie wir. Er rannte drauflos, diese dunkle Straße, er stieß sich an Bäume, und je mehr er ins Laufen kam, um so mehr stieß er an Bäume. Es war schon dunkel, und wie er an Bäume stieß, preßte er entsetzt die Augen zu. Und je mehr er sich stieß, immer entsetzter klemmte er die Augen zu. Mit zerlöchertem Kopf, kaum noch bei Sinnen, kam er schließlich doch an. Wie er hinfiel, machte er die Augen auf. Da brannte die Laterne hell über ihm, und das Schild war zu lesen. Er steht zum Schluß als Hilfsportier in einer mittleren Fabrik. Er steht nicht mehr allein am Alexanderplatz. Es sind welche rechts von ihm, und vor ihm gehen welche, und hinter ihm gehen welche.“

In seinem Essay Der Bau des epischen Werkes fordert Döblin einen exemplarischen Charakter, von dem aus sich die Grund- und Elementarsituation des menschlichen Daseins entwickelt. Wir finden dieses Motiv auch in dem Roman Die drei Sprünge des Wang-lun. Aufgabe des Schriftstellers ist es, die Realität nicht nur faktisch wiederzugeben, sondern ihre Oberfläche zu durchstoßen und zu ihrem wahren Kern zu gelangen. Darin sieht Döblin die Aufgabe des Künstlers.

Die erste öffentliche Lesung aus Berlin Alexanderplatz wird ein Erfolg. Die Kritik reagiert geteilt, aber das Buch verschafft Döblin literarischen Ruhm. Für eine gewisse Zeit wird er neben Thomas Mann zu einem der anerkanntesten Dichter Deutschlands, doch dann beendet die Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933 mit einem Schlag seine Karriere. Davon kann er sich nie wieder erholen.

Sein Roman wird dagegen mehrfach verfilmt, zuerst 1931 mit Heinrich George in der Rolle des Franz Biberkopf; 1979 von Rainer Werner Fassbinder als Mehrteiler für das Fernsehen, mit Günter Lamprecht in der Hauptrolle. Diese Fassung ist jüngst überarbeitet worden und mit vielem zusätzlichen Material wieder als DVD erhältlich.

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