Ungekürztes Werk "Das Marmorbild" von Joseph von Eichendorff (Seite 6)

Herberge angelangt, und jeder begab sich bald in das ihm angewiesene Gemach.

Florio warf sich angekleidet auf das Ruhebett hin, aber er konnte lange nicht einschlafen. In seiner von den Bildern des Tages aufgeregten Seele wogte und hallte und sang es noch immer fort. Und wie die Türen im Hause nun immer seltener auf und zu gingen, nur manchmal noch eine Stimme erschallte, bis endlich Haus, Stadt und Feld in tiefe Stille versank, da war es ihm, als führe er mit schwanenweißen Segeln einsam auf einem mondbeglänzten Meer. Leise schlugen die Wellen an das Schiff, Sirenen tauchten aus dem Wasser, die alle aussahen wie das schöne Mädchen mit dem Blumenkranze vom vorigen Abend. Sie sang so wunderbar, traurig und ohne Ende, als müsse er vor Wehmut untergehn. Das Schiff neigte sich unmerklich und sank langsam immer tiefer und tiefer. Da wachte er erschrocken auf.

Er sprang von seinem Bett und öffnete das Fenster. Das Haus lag am Ausgange der Stadt, er übersah einen weiten stillen Kreis von Hügeln, Gärten und Tälern, vom Monde klar beschienen. Auch da draußen war es überall in den Bäumen und Strömen noch wie im Verhallen und Nachhallen der vergangenen Lust, als sänge die ganze Gegend leise, gleich den Sirenen, die er im Schlummer gehört. Da konnte er der Versuchung nicht widerstehen. Er ergriff die Gitarre, die Fortunato bei ihm zurückgelassen, verließ das Zimmer und ging leise durch das ruhige Haus hinab. Die Tür unten war nur angelehnt, ein Diener lag eingeschlafen auf der Schwelle. So kam er unbemerkt ins Freie und wandelte fröhlich zwischen Weingärten durch leere Alleen an schlummernden Hütten vorüber immer weiter fort.

Zwischen den Rebengeländern hinaus sah er den Fluß im Tale; viele weißglänzende Schlösser, hin und wieder zerstreut, ruhten wie eingeschlafne Schwäne unten in dem Meer von Stille. Da sang er mit fröhlicher Stimme:

 

»Wie kühl schweift sich's bei nächt'ger Stunde,

Die Zither treulich in der Hand!

Vom Hügel grüß' ich in die Runde

Den Himmel und das stille Land.

 

Wie ist da alles so verwandelt,

Wo ich so fröhlich war, im Tal.

Im Wald wie still, der Mond nur wandelt

Nun durch den hohen Buchensaal.

 

Der Winzer Jauchzen ist verklungen

Und all der bunte Lebenslauf,

Die Ströme nur, im Tal geschlungen,

Sie blicken manchmal silbern auf.

Und Nachtigallen wie aus Träumen

Erwachen oft mit süßem Schall,

Erinnernd rührt sich in den Bäumen

Ein heimlich Flüstern überall. –

 

Die Freude kann nicht gleich verklingen,

Und von des Tages Glanz und Lust

Ist so auch mir ein heimlich Singen

Geblieben in der tiefsten Brust.

 

Und fröhlich greif' ich in die Saiten,

O Mädchen, jenseits überm Fluß,

Du lauschest wohl und hörst's von weiten

Und kennst den Sänger an dem Gruß!«

 

Er mußte über sich selber lachen, da er am Ende nicht wußte, wem er das Ständchen brachte. Denn die reizende Kleine mit dem Blumenkranze war es lange nicht mehr, die er eigentlich meinte. Die Musik bei den Zelten, der Traum auf seinem Zimmer und sein die Klänge und den Traum und die zierliche Erscheinung des Mädchens nachträumendes Herz hatte ihr Bild unmerklich und wundersam verwandelt in ein viel schöneres, größeres und herrlicheres, wie er es noch nirgend gesehen.

So in Gedanken

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