Ungekürztes Werk "Der Stechlin" von Theodor Fontane (Seite 162)

wieder bemüht gewesen, einen Themawechsel eintreten zu lassen, worin er vielleicht auch reüssiert hätte, wenn nicht Koseleger gewesen wäre. Dieser – entweder weil er als ästhetischer Feinschmecker an Adelheids Auslassungen ein aufrichtiges Gefallen fand, oder aber weil er die von ihm selbst angeregte Frage hinsichtlich »Natur und Sitte« (die sein Steckenpferd war) gern weiterspinnen wollte – hielt an England fest und sagte: »Die Frau Domina scheint mir davon auszugehn, daß gerade der mitunter schon an die Wilden grenzende Naturmensch drüben in vollster Blüte steht. Und ich will das auch nicht in jedem Punkte bestreiten. Aber daneben begegnen wir einem Lebens- und Gesellschaftsraffinement, das ich, trotz manchem Anfechtbaren, als einen höchsten Kulturausdruck bezeichnen muß. Ich erinnere mich unter anderm eines gerade damals geführten Prozesses, über den ich, als ich im Haag lebte, meiner kaiserlichen Hoheit täglich Bericht erstatten mußte (High-life-Prozesse gingen ihr über alles), und der Gegenstand, um den sich’s dabei handelte, war so recht der Ausdruck eines verfeinerten oder meinetwegen auch überfeinerten Kulturlebens. So recht das Gegenteil von bloßem Naturburschentum. Es ist freilich eine ziemlich lange Geschichte ...«

»Schade«, sagte Dubslav. »Aber trotzdem – wenn überhaupt erzählbar ...«

»O gewiß, gewiß; das denkbar Harmloseste ...«

»Nun denn, lieber Superintendent, wenn wirklich so harmlos, so mach’ ich mich ohne weiteres zum Anwalt unsrer gewiß neugierigen Damen, meine Schwester, die Domina, mit eingeschlossen. Wie war es. Wie verlief die Geschichte, für die sich eine kaiserliche Hoheit so lebhaft interessieren konnte?«

»Nun, wenn es denn sein soll«, nahm Koseleger, langsam und bloß wie einer Pression nachgebend, das Wort. »Es lebte da zu jener Zeit eine schöne Herzogin in London, die’s nicht ertragen konnte, daß die Jahre nicht spurlos an ihr vorübergehen wollten; Fältchen und Krähenfüße zeigten sich. In dieser Bedrängnis hörte sie von ungefähr von einer ›plastischen Künstlerin‹, die durch Auftrag einer Wachspaste die Jugend wiederherzustellen wisse. Diese Künstlerin wurde gerufen, und die Wiederherstellung gelang auch. Aber nun traf eines Tages die Rechnung ein, ›die Bill‹, wie sie da drüben sagen. Es war eine Summe, vor der selbst eine Herzogin erschrecken durfte. Und da die Künstlerin auf ihrer Forderung beharrte, so kam es zu dem angedeuteten Prozeß, der sich alsbald zu einer ›cause célèbre‹ gestaltete.«

»Sehr begreiflich«, versicherte Dubslav, und Melusine stimmte zu.

»Zahlreiche Personen traten in der Verhandlung auf, und als Sachverständige wurden zuletzt auch Konkurrentinnen auf diesem Spezialgebiete der ›plastischen Kunst‹ vernommen. Alle fanden die Forderung erheblich zu hoch, und der Sieg schien sich rasch der Herzogin zuneigen zu wollen. Aber in eben diesem Augenblicke trat die sich arg bedrängt sehende Künstlerin an den Vorsitzenden des Gerichtshofes heran und bat ihn, an die erschienenen Fachgenossinnen einfach die Frage nach der Dauer der durch ihre Kunst wiederhergestellten Jugend und Schönheit richten zu wollen, eine Bitte, der der Oberrichter auch sofort nachkam. Was darauf geantwortet wurde, lautete hinsichtlich der Dauer sehr verschieden. Als aber, trotz der Verschiedenheit dieser Angaben, keine der Konkurrentinnen mehr als ein Vierteljahr zu garantieren wagte, wandte sich die Verklagte ruhig an den hohen Gerichtshof und sagte nicht ohne Würde: ›Meine Herren Richter: meine Mitkünstlerinnen, wie

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