Ungekürztes Werk "Der Stechlin" von Theodor Fontane (Seite 186)

sind in unserm guten Berlin immer noch Raritäten. Übrigens darf ich bei allem Respekt vor meinem berühmten Hotel sagen, unberühmte sind meist interessanter. So zum Beispiel bayrische Wirtshäuser im Gebirge, wo man eine dicke Wirtin hat, von der es heißt, sie sei mal schön gewesen und ein Kaiser oder König habe ihr den Hof gemacht. Und dazu dann Forellen und ein Land­jäger, der eben einen Wilderer oder Haberfeldtreiber über den stillen See bringt. An solchen Stellen ist es am schönsten. Und ist der See aufgeregt, so ist es noch schöner. Das alles würde mir unser Baron Berchtesgaden, der da drüben sitzt, gewiß gern bestätigen, und Sie, Herr Hofprediger, bestätigen es mir schließlich auch. Denn mir fällt eben ein, Sie waren ja mit unserm guten Kaiser Wilhelm, dem letzten Menschen, der noch ein wirklicher Mensch war, immer in Gastein zusammen und viel an seiner Seite. Jetzt hat man statt des wirklichen Menschen den sogenannten Übermenschen etabliert; eigentlich gibt es aber bloß noch Untermenschen, und mitunter sind es gerade die, die man durchaus zu einem ›Über‹ machen will. Ich habe von solchen Leuten gelesen und auch welche gesehn. Ein Glück, daß es, nach meiner Wahrnehmung, immer entschieden komische Figuren sind, sonst könnte man verzweifeln. Und daneben unser alter Wilhelm! Wie war er denn so, wenn er so still seine Sommertage verbrachte? Können Sie mir was von ihm erzählen? So was, woran man ihn so recht eigentlich erkennt.«

»Ich darf sagen ›ja‹, Herr von Stechlin. Habe so was mit ihm erlebt. Eine ganz kleine Geschichte; aber das sind gerade die besten. Da hatten wir mal einen schweren Regentag in Gastein, so daß der alte Herr nicht ins Freie kam und, statt draußen in den Bergen, in seinem großen Wohnzimmer seinen gewohnten Spaziergang machen mußte, so gut es eben ging. Unter ihm aber (was er wußte) lag ein Schwerkranker. Und nun denken Sie sich, als ich bei dem guten alten Kaiser eintrete, seh’ ich ihn, wie er da lange Läufer und Teppiche zusammenschleppt und übereinanderpackt, und als er mein Erstaunen sieht, sagt er mit einem unbeschreiblichen und mir unvergeßlichen Lächeln: ›Ja, lieber Frommel, da unter mir liegt ein Kranker; ich mag nicht, daß er die Empfindung hat, ich trample ihm da so über den Kopf hin ...‹ Sehn Sie, Herr von Stechlin, da haben Sie den alten Kaiser.«

Dubslav schwieg und nickte. »Wie beneid’ ich Sie, so was erlebt zu haben«, hob er nach einer Weile an. »Ich kannt’ ihn auch ganz gut, das heißt in Tagen, wo er noch Prinz Wilhelm war, und dann oberflächlich auch später noch. Aber seine eigentliche Zeit ist doch seine Kaiserzeit.«

»Gewiß, Herr von Stechlin. Es wächst der Mensch mit seinen größern Zwecken.«

»Richtig, richtig«, sagte Dubslav, »das schwebte mir auch vor; ich konnt’ es bloß nicht gleich finden. Ja, so war er, und so einen kriegen wir nicht wieder. Übrigens sag’ ich das in aller Reverenz. Denn ich bin kein Frondeur. Fronde ist mir gräßlich und paßt nicht für uns. Bloß mitunter, da paßt sie doch vielleicht.«

Inzwischen war die siebente Stunde

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