Ungekürztes Werk "Der Stechlin" von Theodor Fontane (Seite 219)
Führer- und die Befehlshaberrolle, zugleich die Richterpflicht, und hatte die Majorität von drei gegen eine Minorität von einem zu schützen. Was dieser eine getan, an und für sich ein Nichts, war unter den Umständen, unter denen es geschah, ein fluchwürdiges Verbrechen. Und so nahm er denn gegen die geschehene schwere Tat die schwere Gegentat auf sich. In solchem Augenblicke richtig fühlen und in der Überzeugung des Richtigen fest und unbeirrt ein furchtbares Etwas tun, ein Etwas, das, aus seinem Zusammenhange gerissen, allem göttlichen Gebot, allem Gesetz und aller Ehre widerspricht, das imponiert mir ganz ungeheuer und ist in meinen Augen der wirkliche, der wahre Mut. Schmach und Schimpf, oder doch der Vorwurf des Schimpflichen, haben sich von jeher an alles Höchste geknüpft. Der Bataillonsmut, der Mut in der Masse (bei allem Respekt davor), ist nur ein Herdenmut.«
Dubslav sah vor sich hin. Er war augenscheinlich in einem Schwankezustand. Dann aber nahm er die Hand Lorenzens und sagte: »Sie sollen recht haben.«
39. Kapitel
Dubslav hatte nach Lorenzens Besuch eine gute Nacht. »Wenn man mal so was andres hört, wird einem gleich besser.« Aber auch der Katzenpfötchentee fuhr fort, seine Wirkung zu tun, und was dem Kranken am meisten half, war, daß er die grünen Tropfen fortließ.
»Hör, Engelke, am Ende wird es noch mal was. Wie gefallen dir meine Beine? Wenn ich drücke, keine Kute mehr.«
»Gewiß, gnäd’ger Herr, es wird nu wieder, un das macht alles der Tee. Ja, die Buschen versteht es, das hab’ ich immer gesagt. Und gestern abend, als Lorenzen hier war, war auch lütt Agnes hier un hat unten in der Küche gefragt, wie’s denn eigentlich mit dem gnädigen Herrn stünn? Und die Mamsell hat ihr gesagt, ›es stünde gut‹.«
»Na, das is recht, daß die Alte, wie’n richtiger Doktor, sich um einen kümmert und von allem wissen will. Und daß sie nicht selber kommt, ist noch besser. So’n bißchen schlecht Gewissen hat sie doch woll. Ich glaube, daß sie viel auf’m Kerbholz hat, und daß die Karline so is, wie sie is, daran is doch auch bloß die Alte schuld. Und das Kind wird vielleicht auch noch so; sie dreht sich schon wie ’ne Puppe, und dazu das lange blonde Zoddelhaar. Ich muß dabei immer an Bellchen denken – weißt du noch, als die gnäd’ge Frau noch lebte. Bellchen hatte auch solche Haare. Und war auch der Liebling. Solche sind immer Liebling. Krippenstapel, hör’ ich, soll sie auch in der Schule verwöhnen. Wenn die andern ihn noch anglotzen, dann schießt sie schon los. Es ist ein kluges Ding.«
Engelke bestätigte, was Dubslav sagte, und ging dann nach unten, um dem gnäd’gen Herrn sein zweites Frühstück zu holen: ein weiches Ei und eine Tasse Fleischbrühe. Als er aber aus dem Gartenzimmer auf den großen Hausflur hinaustrat, sah er, daß ein Wagen vorgefahren war, und statt in die Küche zu gehen, ging er doch lieber gleich zu seinem Herrn zurück, um mit verlegenem Gesicht zu melden, daß das gnäd’ge Fräulein da sei.
»Wie? Meine Schwester?«
»Ja, das gnäd’ge Frölen.«
»I, da soll doch gleich ’ne alte