Ungekürztes Werk "Der Stechlin" von Theodor Fontane (Seite 23)

Und dann ist ja auch gleich wieder die Verführung da. Gott, daß man gerade immer über solche Dinge reden muß; noch keine Stunde, daß ich mit dem Herrn Hauptmann über unsern Volontär Vehmeyer gesprochen habe, netter Mensch, und nun gleich wieder mit Ihnen, Herr Pastor, auch über so was. Aber es geht nicht anders. Und dann sind Sie ja doch auch wie verantwortlich für seine Seele.«

Lorenzen lächelte. »Gewiß, liebe Frau von Gundermann. Aber was ist es denn? Um was handelt es sich denn eigentlich?«

»Ach, es ist an und für sich nicht viel und doch auch wieder eine recht ärgerliche Sache. Da haben wir ja jetzt die Jüngste von unserm Schullehrer Brandt ins Haus genommen, ein hübsches Balg, rotbraun und ganz kraus, und Brandt wollte, sie solle bei uns angelernt werden. Nun, wir sind kein großes Haus, gewiß nicht; aber Mäntel abnehmen und rumpräsentieren, und daß sie weiß, ob links oder rechts, so viel lernt sie am Ende doch.«

»Gewiß. Und die Frida Brandt, oh, die kenn’ ich ganz gut, die wurde jetzt gerade vorm Jahr eingesegnet. Und es ist, wie Sie sagen, ein allerliebstes Geschöpf und klug und aufgekratzt, ein bißchen zu sehr. Sie will zu Ostern nach Berlin.«

»Wenn sie nur erst da wäre. Mir tut es beinahe schon leid, daß ich ihr nicht gleich zugeredet. Aber so geht es einem immer.«

»Ist denn was vorgefallen?«

»Vorgefallen? Das will ich nicht sagen. Er is ja doch erst sechzehn und eine Dusche dazu, gerade wie sein Vater; der hat sich auch erst rausgemausert, seit er grau geworden. Was beiläufig auch nicht gut ist. Und da komme ich nun gestern vormittag die Treppe rauf und will dem Jungen sagen, daß er in den Dohnenstrich geht und nachsieht, ob Krammetsvögel da sind, und die Tür steht halb auf, was noch das beste war, und da seh’ ich, wie sie ihm eine Nase dreht und die Zungenspitze rausstreckt; so was von spitzer Zunge hab’ ich mein Lebtag noch nicht gesehen. Die reine Eva. Für die Potiphar ist sie mir noch zu jung. Und als ich nu dazwischentrete, da kriegt ja nu der arme Junge das Zittern, und weil ich nicht recht wußte, was ich sagen sollte, ging ich bloß hin und klappte den Waschtischdeckel auf, wo der Spruch stand, und sah ihn scharf an. Und da wurde er ganz blaß. Aber das Balg lachte.«

»Ja, liebe Frau von Gundermann, das ist so; Jugend hat keine Tugend.«

»Ich weiß doch nicht; ich bin auch einmal jung gewesen ...«

»Ja, Damen ...«

Während Frau von Gundermann in ihrem Gespräch in der Fensternische mit derartigen Intimitäten kam und den guten Pastor Lorenzen abwechselnd in Verlegenheit und dann auch wieder in stille Heiterkeit versetzte, hatte sich Dubslav mit Hauptmann von Czako in eine schräg gegenüber gelegene Ecke zurückgezogen, wo eine altmodische Causeuse stand, mit einem Marmortischchen davor. Auf dem Tische zwei Kaffeetassen samt aufgeklapptem Likörkasten, aus dem Dubslav eine Flasche nach der andern herausnahm. »Jetzt, wenn man vom Tisch kommt, muß es immer ein Kognak sein. Aber ich bekenne Ihnen, lieber Hauptmann, ich mache die

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