Ungekürztes Werk "Der Stechlin" von Theodor Fontane (Seite 240)

die vom ältesten Adel die Frage zu richten: »Was wollt ihr hier?« Er hielt sich nämlich (worin er einer ererbten Geschlechtsanschauung folgte) für den einzig wirklich berechtigten Bewohner und Vertreter der ganzen Grafschaft.

Das waren so die Hauptanwesenden. Alles stand dichtgedrängt, und von Blechernhahn, der in bezug auf »Schneid« beinah an von Molchow heranreichte, sagte: »Bin neugierig, was der Lorenzen heute loslassen wird. Er gehört ja zur Richtung Göhre.«

»Ja, Göhre«, sagte von Molchow. »Merkwürdig, wie der Zufall spielt. Das Leben macht doch immer die besten Witze.«

Weiter kam es mit dieser ziemlich ungeniert geführten Unterhaltung nicht, weil sich, als Molchow eben seinen Pfeil abgeschossen hatte, die Gesamtaufmerksamkeit auf jene Flurstelle richtete, wo der aufgebahrte Sarg stand. Hier war nämlich, und zwar in einem brillant sitzenden und mit Atlasaufschlägen ausstaffierten Frack, in eben diesem Augenblicke der Rechtsanwalt Katzenstein erschienen und schritt, nachdem er einen Granseeschen Riesenkranz am Fußende des Sarges niedergelegt hatte, mit jener Ruhe, wie sie nur das gute Gewissen gibt, auf Adelheid zu, vor der er sich respektvollst verneigte. Diese bewahrte gute Haltung und dankte. Von verschiedenen Seiten her aber hörte man leise das Wort »Affront«, während ein in unmittelbarer Nähe des Edlen Herrn von Alten-Friesack stehender, erst seit kurzem zu Christentum und Konservatismus übergetretener Katzensteinscher Kollege lächelnd vor sich hin murmelte: »Schlauberger!«

Und nun war es Zeit.

Der Zug ordnete sich; Militärmusik aus der nächsten Garnison schritt vorauf; dann traten die Stechliner Bauern heran, die darum gebeten hatten, den Sarg tragen zu dürfen. Diener und Mädchen aus dem Hause nahmen die Kränze. Dann kam Adelheid mit Pastor Lorenzen, an die sich die Trauerversammlung (viele von ihnen in Landstandsuniform) unmittelbar anschloß. Draußen sah man, daß eine große Zahl kleiner Leute Spalier gebildet hatte. Das waren die von Globsow. Sie hatten bei der Rheinsberger Wahl alle für Torgelow oder doch wenigstens für Katzenstein gestimmt; jetzt aber, wo der Alte tot war, waren sie doch vorwiegend der Meinung: »He wihr so wiet janz good.«

Die Musik klang wundervoll; kleine Mädchen streuten Blumen, und so ging es den etwas ansteigenden Kirchhof hinauf, zwischen den Gräbern hindurch und zuletzt auf das uralte, niedrige Kirchenportal zu. Vor dem Altar stellten sie den Sarg auf einen mit einer Versenkungsvorrichtung versehenen Stein, unter dem sich die Gruft der Stechline befand. Schiff und Emporen waren überfüllt; bis auf den Kirchhof hinaus stand alles Kopf an Kopf. Und nun trat Lorenzen an den Sarg heran, um über den, den er trotz aller Verschiedenheit der Meinungen so sehr geliebt und verehrt, ein paar Worte zu sagen.

»›Wer seinen Weg richtig wandelt, kommt zu seiner Ruhe in der Kammer.‹ Diesen Weg zu wandeln war das Bestreben dessen, an dessen Sarge wir hier stehn. Ich gebe kein Bild seines Lebens, denn wie dies Leben war, es wissen’s alle, die hier erschienen sind. Sein Leben lag aufgeschlagen da, nichts verbarg sich, weil sich nichts zu verbergen brauchte. Sah man ihn, so schien er ein Alter, auch in dem, wie er Zeit und Leben ansah; aber für die, die sein wahres Wesen kannten, war er kein Alter, freilich auch

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