Ungekürztes Werk "Der Stechlin" von Theodor Fontane (Seite 87)

Es waren dies die Berliner Mörtelwerke, die hier die Herrschaft behaupteten und das Uferbild bestimmten.

Unsre Reisenden sprachen wenig, weil unter dem raschen Wechsel der Bilder eine Frage die andre zurückdrängte. Nur als der Dampfer an Treptow vorüber zwischen den kleinen Inseln hinfuhr, die hier mannigfach aus dem Fluß aufwachsen, wandte sich Melusine an Woldemar und sagte: »Lizzi hat mir erzählt, hier zwischen Treptow und Stralau sei auch die ›Liebesinsel‹; da stürben immer die Liebespaare, meist mit einem Zettel in der Hand, drauf alles stünde. Trifft das zu?«

»Ja, Gräfin, soviel ich weiß, trifft es zu. Solche Liebes­inseln gibt es übrigens vielfach in unsrer Gegend und kann als Beweis gelten, wie weitverbreitet der Zustand ist, dem abgeholfen werden soll, und wenn’s auch durch Sterben wäre.«

»Das nehm’ ich Ihnen übel, daß Sie darüber spotten. Und Armgard wird es noch mehr tun, weil sie gefühlvoller ist als ich. Zudem sollten Sie wissen, daß sich so was rächt.«

»Ich weiß es. Aber Sie lesen auch durchaus falsch in meiner Seele. Sicher haben Sie mal gehört, daß der, der Furcht hat, zu singen anfängt, und wer nicht singen kann, nun, der witzelt eben. Übrigens, so schön ›Liebes­insel‹ klingt, der Zauber davon geht wieder verloren, wenn Sie sich den Namen des Ganzen vergegenwärtigen. Die sich so mächtig hier verbreiternde Spreefläche heißt nämlich der ›Rummelsburger‹ See.«

»Freilich nicht hübsch; das kann ich zugeben. Aber die Stelle selbst ist schön, und Namen bedeuten nichts.«

»Wer Melusine heißt, sollte wissen, was Namen bedeuten.«

»Ich weiß es leider. Denn es gibt Leute, die sich vor ›Melusine‹ fürchten.«

»Was immer eine Dummheit, aber doch viel mehr noch eine Huldigung ist.«

Unter diesem Gespräche waren sie bis über die Breitung der Spree hinausgekommen und fuhren wieder in das schmaler werdende Flußbett ein. An beiden Ufern hörten die Häuserreihen auf, sich in dünnen Zeilen hinzuziehen, Baumgruppen traten in nächster Nähe dafür ein, und weiter landeinwärts wurden aufgeschüttete Bahndämme sichtbar, über die hinweg die Telegraphenstangen ragten und ihre Drähte von Pfahl zu Pfahl spannten. Hie und da, bis ziemlich weit in den Fluß hinein, stand ein Schilfgürtel, aus dessen Dickicht vereinzelte Krickenten aufflogen.

»Es ist doch weiter, als ich dachte«, sagte Melusine. »Wir sind ja schon wie in halber Einsamkeit. Und dabei wird es frisch. Ein Glück, daß wir Decken mitgenommen. Denn wir bleiben doch wohl im Freien? Oder gibt es auch Zimmer da? Freilich kann ich mir kaum denken, daß wir zu sechs in einem Eierhäuschen Platz haben.«

»Ach, Frau Gräfin, ich sehe, Sie rechnen auf etwas extrem Idyllisches und erwarten, wenn wir angelangt sein werden, einen Mischling von Kiosk und Hütte. Da harrt Ihrer aber eine grausame Enttäuschung. Das Eierhäuschen ist ein sogenanntes ›Lokal‹, und wenn uns die Lust anwandelt, so können wir da tanzen oder eine Volks­versammlung abhalten. Raum genug ist da. Sehen Sie, das Schiff wendet sich schon, und der rote Bau da, der zwischen den Pappelweiden mit Turm und Erker sichtbar wird, das ist das Eierhäuschen.«

»O weh! Ein Palazzo«, sagte die Baronin und war auf dem Punkt, ihrer Mißstimmung einen Ausdruck zu geben. Aber ehe sie dazu kam,

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