Ungekürztes Werk "Irrungen, Wirrungen" von Theodor Fontane (Seite 80)
fährt spazieren und hat noch keine zehn Bäder genommen.« Und nach diesem Selbstgespräche gab er dem eben eintretenden Burschen einige Weisungen und ging, durch Tiergarten und Brandenburger Tor, erst die Linden hinunter und dann auf die Kaserne zu, wo der Dienst ihn bis Mittag in Anspruch nahm.
Als er bald nach zwölf Uhr wieder zu Hause war und sich’s, nach eingenommenem Imbiß, eben ein wenig bequem machen wollte, meldete der Bursche, daß ein Herr … ein Mann (er schwankte in der Titulatur) draußen sei, der den Herrn Baron zu sprechen wünsche.
»Wer?«
»Gideon Franke … Er sagte so.«
»Franke? Sonderbar. Nie gehört. Laß ihn eintreten.«
Der Bursche ging wieder, während Botho wiederholte: »Franke … Gideon Franke … Nie gehört. Kenn’ ich nicht.«
Einen Augenblick später trat der Angemeldete ein und verbeugte sich von der Tür her etwas steif. Er trug einen bis obenhin zugeknöpften schwarzbraunen Rock, übermäßig blanke Stiefel und blankes schwarzes Haar, das an beiden Schläfen dicht anlag. Dazu schwarze Handschuh’ und hohe Vatermörder von untadliger Weiße.
Botho ging ihm mit der ihm eigenen chevaleresken Artigkeit entgegen und sagte: »Herr Franke?«
Dieser nickte.
»Womit kann ich dienen? Darf ich Sie bitten, Platz zu nehmen … Hier … Oder vielleicht hier. Polsterstühle sind immer unbequem.«
Franke lächelte zustimmend und setzte sich auf einen Rohrstuhl, auf den Rienäcker hingewiesen hatte.
»Womit kann ich dienen?« wiederholte Rienäcker.
»Ich komme mit einer Frage, Herr Baron.«
»Die mir zu beantworten eine Freude sein wird, vorausgesetzt, daß ich sie beantworten kann.«
»Oh, niemand besser als Sie, Herr von Rienäcker … Ich komme nämlich wegen der Lene Nimptsch.«
Botho fuhr zurück.
»… und möchte«, fuhr Franke fort, »gleich hinzusetzen dürfen, daß es nichts Genierliches ist, was mich herführt. Alles, was ich zu sagen oder, wenn Sie’s gestatten, Herr Baron, zu fragen habe, wird Ihnen und Ihrem Hause keine Verlegenheiten schaffen. Ich weiß auch von der Abreise der gnädigen Frau, der Frau Baronin, und habe mit allem Vorbedacht auf Ihr Alleinsein gewartet oder, wenn ich so sagen darf, auf Ihre Strohwitwertage.«
Botho hörte mit feinem Ohre heraus, daß der, der da sprach, trotz seines spießbürgerlichen Aufzuges ein Mann von Freimut und untadeliger Gesinnung sei. Das half ihm rasch aus seiner Verwirrung heraus, und er hatte Haltung und Ruhe ziemlich wiedergewonnen, als er über den Tisch hin fragte: »Sie sind ein Anverwandter Lenens? Verzeihung, Herr Franke, daß ich meine alte Freundin bei diesem alten, mir so lieben Namen nenne.«
Franke verbeugte sich und erwiderte: »Nein, Herr Baron, kein Verwandter; ich habe nicht diese Legitimation. Aber meine Legitimation ist vielleicht keine schlechtere: Ich kenne die Lene seit Jahr und Tag und habe die Absicht, sie zu heiraten. Sie hat auch zugesagt, aber mir bei der Gelegenheit auch von ihrem Vorleben erzählt und dabei mit so großer Liebe von Ihnen gesprochen, daß es mir auf der Stelle feststand, Sie selbst, Herr Baron, offen und unumwunden fragen zu wollen, was es mit der Lene eigentlich sei. Worin Lene selbst, als ich ihr von meiner Absicht erzählte, mich mit sichtlicher Freude bestärkte, freilich gleich hinzusetzend, ich solle es lieber nicht tun, denn Sie würden zu gut von ihr sprechen.«
Botho sah