Interpretation "Unterm Birnbaum" von Theodor Fontane (Seite 2)
Der Held in Unterm Birnbaum, der Gastwirt Abel Hradscheck, ist zweifellos die unsympathischte aller Täterfiguren Fontanes, denn er begeht einen eiskalt geplanten, vorsätzlichen Mord. Sein Motiv ist das denkbar niedrigste: Er bringt aus finanziellen Gründen seinen Gläubiger um, noch dazu einen harmlosen, umgänglichen Menschen, der in seinem Hause als Gast übernachten will. Man kann sogar vermuten, dass es nicht sein erster Mord ist: Vor längerer Zeit hat er ein außereheliches Verhältnis mit einer Frau, die eines Tages aus ungeklärter Ursache plötzlich stirbt – die Umstände ihres Todes liegen nach wie vor im Dunkeln, der Verdacht gegen ihn bleibt jedoch bestehen.
Abel Hradscheck ist nicht der alleinige Schuldige am Mord des polnischen Händlers Szulski, seine Frau Ursel beteiligt sich ebenfalls an dem Verbrechen, und ihre Eitelkeit trägt einiges zum Tatmotiv ihres Mannes bei. Als er ihr seine finanzielle Lage erklärt und sie auf die Möglichkeit hinweist, im Falle des Bankrotts gepfändet zu werden, droht sie mit Selbstmord. Ihr ganzes Bestreben ist zeitlebens darauf ausgerichtet, den übrigen Dorfbewohnern zu demonstrieren, dass sie etwas Besseres sei; zu diesem Zweck sind Kleider und Möbelstücke angeschafft worden, die über die finanziellen Verhältnisse der Hradschecks hnausgehen. Zwar versucht sie eine zeitlang, ihrem Mann die Mordpläne auszureden, da sie Angst vor einer Entdeckung hat, doch schließlich willigt sie ein. Insofern ist sie mehr als nur eine Mitschuldige; das Klischee der weiblichen Eitelkeit, das Fontane hier bedient, ist die 'eigentliche' Ursache der Katastrophe.
Hradschecks Plan ist bis ins Detail ausgeklügelt, er legt gleich mehrere falsche Fährten und kalkuliert den Verdacht gegen sich selbst und seine Frau auf raffinierte Weise ein: Die erste falsche Fährte besteht darin, seine Frau im Pelzmantel Szulskis dessen Kutsche besteigen zu lassen und diese dann, samt Pferd, in der Oder zu versenken, sodass es wie ein Unfall aussieht. Zugleich streut er das Gerücht aus, seine Frau habe eine bedeutende Erbschaft gemacht, um sein Mordmotiv zu verschleiern und die plötzliche Wohlhabenheit nach der Tat zu begründen. Da er die Schwachstellen des Plans kennt und die Verdächtigung voraussieht, entwickelt er eine zusätzliche Strategie: Er verhält sich so, dass er zunächst scheinbar belastet wird, um dann als unschuldig Verfolgter dazustehen. Die Neugier seiner Nachbarin Frau Jeschke spielt dabei eine wichtige Rolle: Er rechnet damit, dass sie ihn nachts beim Graben im Garten beobachtet und diese Beobachtung der Polizei meldet.