Ungekürztes Werk "Die Leiden des Jungen Werthers" von Johann Wolfgang Goethe (Seite 67)

putzte den Staub ab und zauderte und hätte noch lang gezögert, wenn nicht Albert durch einen fragenden Blick: was denn das geben sollte? sie gedrängt hätte. Sie gab das unglückliche Gewehr dem Knaben, ohne ein Wort vorbringen zu können, und als der zum Hause drauß war, machte sie ihre Arbeit zusammen, ging in ihr Zimmer in dem Zustand des unaussprechlichsten Leidens. Ihr Herz weissagte ihr alle Schröcknisse. Bald war sie im Begriff, sich zu den Füßen ihres Mannes zu werfen, ihm alles zu entdecken, die Geschichte des gestrigen Abends, ihre Schuld und ihre Ahndungen. Dann sah sie wieder keinen Ausgang des Unternehmens, am wenigsten konnte sie hoffen, ihren Mann zu einem Gange nach Werthern zu bereden. Der Tisch ward gedeckt, und eine gute Freundin, die nur etwas zu fragen kam und die Lotte nicht wegließ, machte die Unterhaltung bei Tische erträglich, man zwang sich, man redete, man erzählte, man vergaß sich.

Der Knabe kam mit den Pistolen zu Wer­thern, der sie ihm mit Entzücken abnahm, als er hörte, Lotte habe sie ihm gegeben. Er ließ sich ein Brot und Wein bringen, hieß den Knaben zu Tisch gehn und setzte sich nieder, zu schreiben.

Sie sind durch Deine Hände gegangen, Du hast den Staub davon geputzt, ich küsse sie tausendmal, Du hast sie berührt. Und du, Geist des Himmels, begünstigst meinen Entschluß! Und Du, Lotte, reichst mir das Werkzeug, Du, von deren Händen ich den Tod zu empfangen wünschte und ach! nun empfange. O ich habe meinen Jungen ausgefragt, Du zittertest, als Du sie ihm reichtest, Du sagtest kein Lebewohl – Weh! Weh! – kein Lebewohl! – Solltest Du Dein Herz für mich verschlossen haben, um des Augenblicks willen, der mich auf ewig an Dich befestigte? Lotte, kein Jahrtausend vermag den Eindruck auszulöschen! Und ich fühl's, Du kannst den nicht hassen, der so für Dich glüht.

Nach Tische hieß er den Knaben alles vollends einpacken, zerriß viele Papiere, ging aus und brachte noch kleine Schulden in Ordnung. Er kam wieder nach Hause, ging wieder aus, vors Tor, ohngeachtet des Regens, in den gräflichen Garten, schweifte weiter in der Gegend umher und kam mit einbrechender Nacht zurück und schrieb.

Wilhelm, ich habe zum letzten Male Feld und Wald und den Himmel gesehn. Leb wohl auch Du! Liebe Mutter, verzeiht mir! Tröste sie, Wilhelm. Gott segne Euch! Meine Sachen sind all in Ordnung. Lebt wohl! Wir sehen uns wieder und freudiger.

Ich habe Dir übel gelohnt, Albert, und Du vergibst mir. Ich habe den Frieden Deines Hauses gestört, ich habe Mißtrauen zwischen Euch gebracht. Leb wohl, ich will's enden. O daß Ihr glücklich wäret durch meinen Tod! Albert! Albert! mache den Engel glücklich. Und so wohne Gottes Segen über Dir!

Er kramte den Abend noch viel in seinen Papieren, zerriß vieles und warf's in Ofen, versiegelte einige Päcke mit den Adressen an Wilhelmen. Sie enthielten kleine Aufsätze, abgerissene Gedanken, deren ich verschiedene gesehen habe; und nachdem er um zehn Uhr im Ofen nachlegen und sich einen Schoppen Wein geben lassen, schickte er den Bedienten, dessen Kammer wie auch die

Seiten