Ungekürztes Werk "Die Wahlverwandtschaften" von Johann Wolfgang Goethe (Seite 33)

wenn ihm ein Stein vom Herzen gefallen wäre, als wenn sich eine Scheidewand zwischen ihm und Ottilien niedergelegt hätte.

Vom Müller geführt, langten Charlotte und der Hauptmann auf einem bequemeren Pfade herunter. Man begrüßte sich, man erfreute und erquickte sich. Zurück wollte man denselben Weg nicht kehren, und Eduard schlug einen Felspfad auf der andern Seite des Baches vor, auf welchem die Teiche wieder zu Gesicht kamen, indem man ihn mit einiger Anstrengung zurücklegte. Nun durchstrich man ein abwechselndes Gehölz und erblickte nach dem Lande zu mancherlei Dörfer, Flecken, Meiereien mit ihren grünen fruchtbaren Umgebungen; zunächst ein Vorwerk, das an der Höhe, mitten im Holze, gar vertraulich lag. Am schönsten zeigte sich der größte Reichtum der Gegend vor- und rückwärts, auf der sanfterstiegenen Höhe, von da man zu einem lustigen Wäldchen gelangte, und beim Heraustreten aus demselben sich auf dem Felsen dem Schlosse gegenüber befand.

Wie froh waren sie, als sie daselbst gewissermaßen unvermutet ankamen. Sie hatten eine kleine Welt umgangen; sie standen auf dem Platze, wo das neue Gebäude hinkommen sollte, und sahen wieder in die Fenster ihrer Wohnung.

Man stieg zur Mooshütte hinunter und saß zum erstenmal darin zu vieren. Nichts war natürlicher, als daß einstimmig der Wunsch ausgesprochen wurde, dieser heutige Weg, den sie langsam und nicht ohne Beschwerlichkeit gemacht, möchte dergestalt geführt und eingerichtet werden, daß man ihn gesellig, schlendernd und mit Behaglichkeit zurücklegen könnte. Jedes tat Vorschläge, und man berechnete, daß der Weg, zu welchem sie mehrere Stunden gebraucht hatten, wohlgebahnt in einer Stunde zum Schloß zurückführen müßte. Schon legte man in Gedanken, unterhalb der Mühle, wo der Bach in die Teiche fließt, eine wegverkürzende und die Landschaft zierende Brücke an, als Charlotte der erfindenden Einbildungskraft einigen Stillstand gebot, indem sie an die Kosten erinnerte, welche zu einem solchen Unternehmen erforderlich sein würden.

Hier ist auch zu helfen, versetzte Eduard. Jenes Vorwerk im Walde, das so schön zu liegen scheint und so wenig einträgt, dürfen wir nur veräußern und das daraus Gelöste zu diesen Anlagen verwenden; so genießen wir vergnüglich auf einem unschätzbaren Spaziergange die Interessen eines wohlangelegten Kapitals, da wir jetzt mit Mißmut, bei letzter Berechnung am Schlusse des Jahrs, eine kümmerliche Einnahme davon ziehen.

Charlotte selbst konnte als gute Haushälterin nicht viel dagegen erinnern. Die Sache war schon früher zur Sprache gekommen. Nun wollte der Hauptmann einen Plan zu Zerschlagung der Grundstücke unter die Waldbauern machen. Eduard aber wollte kürzer und bequemer verfahren wissen. Der gegenwärtige Pachter, der schon Vorschläge getan hatte, sollte es erhalten, terminweise zahlen, und so terminweise wollte man die planmäßigen Anlagen von Strecke zu Strecke vornehmen.

So eine vernünftige gemäßigte Einrichtung mußte durchaus Beifall finden, und schon sah die ganze Gesellschaft im Geiste die neuen Wege sich schlängeln, auf denen und in deren Nähe man noch die angenehmsten Ruhe- und Aussichtsplätze zu entdecken hoffte.

Um sich alles mehr im einzelnen zu vergegenwärtigen, nahm man abends zu Hause sogleich die neue Karte vor. Man übersah den zurückgelegten Weg und wie er vielleicht an einigen Stellen noch vorteilhafter zu führen wäre. Alle früheren Vorsätze wurden nochmals durchgesprochen und

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