Ungekürztes Werk "Egmont" von Johann Wolfgang Goethe (Seite 31)

Ferdinand kommt.

Ferdinand: Verzeiht, daß ich euer Gespräch unterbreche. Hier ist ein Brief, dessen Überbringer die Antwort dringend macht.

Alba: Erlaubt mir, daß ich sehe, was er enthält. Tritt an die Seite.

Ferdinand zu Egmont: Es ist ein schönes Pferd, das Eure Leute gebracht haben, Euch abzuholen.

Egmont: Es ist nicht das schlimmste. Ich hab es schon eine Weile, ich denk es wegzugeben. Wenn es Euch gefällt, so werden wir vielleicht des Handels einig.

Ferdinand: Gut, wir wollen sehn.

Alba winkt seinem Sohne, der sich in den Grund zurückzieht.

Egmont: Lebt wohl! Entlaßt mich, denn ich wüßte bei Gott nicht mehr zu sagen.

Alba: Glücklich hat dich der Zufall verhindert, deinen Sinn noch weiter zu verraten. Unvorsichtig entwickelst du die Falten deines Herzens und klagst dich selbst weit strenger an, als ein Widersacher gehässig tun könnte.

Egmont: Dieser Vorwurf rührt mich nicht; ich kenne mich selbst genug und weiß, wie ich dem König angehöre: weit mehr als viele, die in seinem Dienst sich selber dienen. Ungern scheid ich aus diesem Streite, ohne ihn beigelegt zu sehen, und wünsche nur, daß uns der Dienst des Herren, das Wohl des Landes bald vereinigen möge. Es wirkt vielleicht ein wiederholtes Gespräch, die Gegenwart der übrigen Fürsten, die heute fehlen, in einem glücklichern Augenblick, was heut unmöglich scheint. Mit dieser Hoffnung entfern ich mich.

Alba der zugleich dem Sohne ein Zeichen gibt: Halt, Egmont! – Deinen Degen!

Die Mitteltüre öffnet sich, man sieht die Galerie mit Wache besetzt, die unbeweglich bleibt.

Egmont der staunend eine Weile geschwiegen: Dies war die Absicht? Dazu hast du mich berufen? Nach dem Degen greifend, als wenn er sich verteidigen wollte: Bin ich denn wehrlos?

Alba: Der König befiehlt’s, du bist mein Gefangner.

Zugleich treten von beiden Seiten Gewaffnete herein.

Egmont nach einer Stille: Der König? – Oranien! Oranien! Nach einer Pause, seinen Degen hingebend: So nimm ihn! Er hat weit öfter des Königs Sache verteidigt als diese Brust beschützt.

Er geht durch die Mitteltüre ab, die Gewaffneten, die im Zimmer sind, folgen ihm, ingleichen Albas Sohn. Alba bleibt stehen, der Vorhang fällt.

FÜNFTER AUFZUG

Straße

Dämmrung

Klärchen. Brackenburg. Bürger

Brackenburg: Liebchen, um Gottes willen! was nimmst du vor?

Klärchen: Komm mit, Brackenburg! Du mußt die Menschen nicht kennen; wir befreien ihn gewiß. Denn was gleicht ihrer Liebe zu ihm? Jeder fühlt, ich schwöre es, in sich die brennende Begier, ihn zu retten, die Gefahr von einem kostbaren Leben abzuwenden und dem Freisten die Freiheit wiederzugeben. Komm! Es fehlt nur an der Stimme, die sie zusammenruft. In ihrer Seele lebt noch ganz frisch, was sie ihm schuldig sind! Und daß sein mächtiger Arm allein von ihnen das Verderben abhält, wissen sie. Um seinet- und ihrentwillen müssen sie alles wagen. Und was wagen wir? Zum höchsten unser Leben, das zu erhalten nicht der Mühe wert ist, wenn er umkommt.

Brackenburg: Unglückliche! Du siehst nicht die Gewalt, die uns mit ehrnen Banden gefesselt hat.

Klärchen: Sie scheint mir nicht unüberwindlich. Laß uns nicht lang vergebliche Worte wechseln. Hier kommen von den alten, redlichen, wackern Männern! Hört, Freunde! Nachbarn, hört! – Sagt, wie ist es mit Egmont?

Zimmermann: Was will das Kind? Laß sie schweigen!

Klärchen: Tretet näher, daß wir sachte reden, bis wir einig sind und stärker. Wir dürfen nicht einen Augenblick versäumen! Die freche Tyrannei, die es wagt, ihn zu fesseln, zuckt schon den Dolch, ihn zu ermorden. O Freunde! mit jedem Schritt der Dämmrung werd ich ängstlicher. Ich fürchte diese Nacht. Kommt! Wir wollen uns teilen. Mit schnellem Lauf von Quartier zu Quartier rufen wir die Bürger heraus. Ein jeder greife zu seinen alten Waffen. Auf dem Markte treffen wir uns wieder, und unser Strom reißt einen jeden mit sich fort. Die Feinde sehen sich umringt und überschwemmt, und sind erdrückt. Was kann uns eine Handvoll Knechte widerstehn? Und er in unsrer Mitte kehrt zurück, sieht sich befreit und kann uns einmal danken, uns, die wir ihm so tief verschuldet worden. Er sieht vielleicht – gewiß, er sieht das Morgenrot am freien Himmel wieder.

Seiten