Ungekürztes Werk "Lyrik in Auswahl" von Johann Wolfgang Goethe (Seite 9)

An Schwager Kronos

In der Postchaise den 10. Oktober 1774

Spude dich, Kronos!

Fort den rasselnden Trott!

Bergab gleitet der Weg;

Ekles Schwindeln zögert

Mir vor die Stirne dein Haudern.

Frisch den holpernden

Stock, Wurzeln, Steine den Trott

Rasch ins Leben hinein!

Nun schon wieder

Den eratmenden Schritt

Mühsam Berg hinauf.

Auf denn, nicht träge denn!

Strebend und hoffend an.

Weit, hoch, herrlich der Blick

Rings ins Leben hinein;

Vom Gebürg zum Gebürg,

Über der ewige Geist

Ewigen Lebens ahndevoll.

Seitwärts des Überdachs Schatten

Zieht dich an

Und der Frischung verheißende Blick

Auf der Schwelle des Mädchens da.

Labe dich! –Mir auch, Mädchen,

Diesen schäumenden Trunk

Und den freundlichen Gesundheitsblick!

Ab dann, frischer hinab!

Sieh, die Sonne sinkt!

Eh sie sinkt, eh mich faßt

Greisen im Moore Nebelduft,

Entzahnte Kiefer schnattern

Und das schlockernde Gebein –

Trunknen vom letzten Strahl

Reiß mich, ein Feuermeer

Mir im schäumenden Aug,

Mich Geblendeten, Taumelnden

In der Hölle nächtliches Tor.

Töne, Schwager, dein Horn,

Raßle den schallenden Trab,

Daß der Orkus vernehme: ein Fürst kommt,

Drunten von ihren Sitzen

Sich die Gewaltigen lüften.

Seiten