Interpretation "Atta Troll. Ein Sommernachtstraum" von Heinrich Heine (Seite 2)

Weit gefehlt aber, wollte man in Atta Troll, der ja den Aufstand probt, zur Revolution der unterdrückten Tiere gegen den Menschen aufruft und Einheit, Gleichheit, Freiheit postuliert (Caput VI) – die positive Gegenfigur zu den Biedermeierautoren sehen. Zu täppisch, unbeholfen, vergröbert und lächerlich erscheinen seine Reden, als dass ihre liberalen Inhalte noch ernst genommen werden könnten. Seine Geschwätzigkeit wird den großen Idealen, die er im Maul führt, nicht gerecht und entwertet sie sogar. Die politischen Forderungen verkommen zu bloßen Zitaten, ja zu leeren Worthülsen.

Heine greift damit den damals herrschenden liberalen Zeitgeist an. Die Berufung auf die Ideale der Freiheit, Einheit und Gleichheit, die sich die Burschenschaften 1819 noch inbrünstig aufs Panier geschrieben hatten, wird durch solches Reden ohne Bezug auf die tatsächliche Situation zur Phrase und lässt sich, was noch schwerer wiegt, zur Legitimierung der bestehenden Verhältnisse missbrauchen.

Zugleich richtet sich die Kritik Heines gegen die sogenannte Tendenzliteratur eines Herwegh oder Hoffmann von Fallersleben. Sie produzieren zwar Lyrik von 'richtiger' Gesinnung, die jedoch durch die Fixierung auf die politische Botschaft kaum noch ästhetischen Wert aufweist. "Die wahrhaft großen Dichter", schreibt Heine, "haben immer die großen Interessen ihrer Zeit anders aufgefaßt als in gereimten Zeitungsartikeln."

"Phantastisch zwecklos" ist Heines Lied somit, "zwecklos wie die Liebe, wie das Leben, wie der Schöpfer samt der Schöpfung!" (Caput III). Wobei 'zwecklos' hier nichts anderes meint als die Weigerung der Kunst, sich den Verwertungs- und Entwertungsmechanismen der Gesellschaft zu unterwerfen. Diese Thematik wird gerade im 20. Jahrhundert immer wieder aufgegriffen – man denke etwa an Sartres Konzept der littérature engagée oder an Peter Weiß' Ästhetik des Widerstands – und hat bis heute an Aktualität nichts eingebüßt.

Dem Bären geht es zwangsläufig ans Fell. Und auf seinem Grabstein steht ironisch: "Atta Troll, Tendenzbär; sittlich/eligiös; als Gatte brünstig;/urch Verführtsein von dem Zeitgeist,/
Waldursprünglich Sanskülotte;//Sehr schlecht tanzend, doch Gesinnung/ragend in der zottgen Hochbrust;/anchmal auch gestunken habend;/ein Talent, doch ein Charakter!"
(Caput XXIV)

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