Ungekürztes Werk "Der Prozeß" von Franz Kafka (Seite 12)
Uhr abends vor dem Hause, in dem er wohnte, ankam, traf er im Haustor einen jungen Burschen, der dort breitbeinig stand und eine Pfeife rauchte. “Wer sind Sie?” fragte K. sofort und brachte sein Gesicht nahe an den Burschen, man sah nicht viel im Halbdunkel des Flurs. “Ich bin der Sohn des Hausmeisters, gnädiger Herr”, antwortete der Bursche, nahm die Pfeife aus dem Mund und trat zur Seite. “Der Sohn des Hausmeisters?” fragte K. und klopfte mit seinem Stock ungeduldig den Boden. “Wünscht der gnädige Herr etwas? Soll ich den Vater holen?” “Nein, nein”, sagte K., in seiner Stimme lag etwas Verzeihendes, als habe der Bursche etwas Böses ausgeführt, er aber verzeihe ihm. “Es ist gut”, sagte er dann und ging weiter, aber ehe er die Treppe hinaufstieg, drehte er sich noch einmal um.
Er hätte geradewegs in sein Zimmer gehen können, aber da er mit Frau Grubach sprechen wollte, klopfte er gleich an ihre Tür an. Sie saß mit einem Strickstrumpf am Tisch, auf dem noch ein Haufen alter Strümpfe lag. K. entschuldigte sich zerstreut, daß er so spät komme, aber Frau Grubach war sehr freundlich und wollte keine Entschuldigung hören, für ihn sei sie immer zu sprechen, er wisse sehr gut, daß er ihr bester und liebster Mieter sei. K. sah sich im Zimmer um, es war wieder vollkommen in seinem alten Zustand, das Frühstücksgeschirr, das früh auf dem Tischchen beim Fenster gestanden hatte, war auch schon weggeräumt. “Frauenhände bringen doch im stillen viel fertig”, dachte er, er hätte das Geschirr vielleicht auf der Stelle zerschlagen, aber gewiß nicht hinaustragen können. Er sah Frau Grubach mit einer gewissen Dankbarkeit an. “Warum arbeiten Sie noch so spät?” fragte er. Sie saßen nun beide am Tisch, und K. vergrub von Zeit zu Zeit seine Hand in die Strümpfe. “Es gibt viel Arbeit”, sagte sie, “während des Tages gehöre ich den Mietern; wenn ich meine Sachen in Ordnung bringen will, bleiben mir nur die Abende.” “Ich habe Ihnen heute wohl noch eine außergewöhnliche Arbeit gemacht?” “Wieso denn?” fragte sie, etwas eifriger werdend, die Arbeit ruhte in ihrem Schoße. “Ich meine die Männer, die heute früh hier waren.” “Ach so”, sagte sie und kehrte wieder in ihre Ruhe zurück, “das hat mir keine besondere Arbeit gemacht.” K. sah schweigend zu, wie sie den Strickstrumpf wieder vornahm. Sie scheint sich zu wundern, daß ich davon spreche, dachte er, sie scheint es nicht für richtig zu halten, daß ich davon spreche. Desto wichtiger ist es, daß ich es tue. Nur mit einer alten Frau kann ich davon sprechen. “Doch, Arbeit hat es gewiß gemacht”, sagte er dann, “aber es wird nicht wieder vorkommen.” “Nein, das kann nicht wieder vorkommen”, sagte sie bekräftigend und lächelte K. fast wehmütig an. “Meinen Sie das ernstlich?” fragte K. “Ja”, sagte sie leiser, “aber vor allem dürfen Sie es nicht zu schwer nehmen. Was geschieht nicht alles in der Welt! Da Sie so vertraulich mit mir reden, Herr K., kann ich Ihnen ja eingestehen, daß ich ein wenig hinter der