Kurzgeschichten (ungekürzt) von Franz Kafka (Seite 4)

Der Dicke erzählte weiter:

b

Begonnenes Gespräch mit dem Beter

“Es gab eine Zeit, in der ich Tag um Tag in eine Kirche ging, denn ein Mädchen, in das ich mich verliebt hatte, betete dort knieend eine halbe Stunde am Abend, unterdessen ich sie in Ruhe betrachten konnte.

Als einmal das Mädchen nicht gekommen war und ich unwillig auf die Betenden blickte, fiel mir ein junger Mensch auf, der sich mit seiner ganzen mageren Gestalt auf den Boden geworfen hatte. Von Zeit zu Zeit packte er mit der ganzen Kraft des Körpers seinen Schädel und schmetterte ihn seufzend in die Handflächen, die auf den Steinen auflagen.

In der Kirche waren nur einige alte Weiber, die hie und da ihr eingewickeltes Köpfchen mit seitlicher Neigung drehten, um nach dem Betenden hinzusehen. Diese Aufmerksamkeit schien ihn glücklich zu machen, denn vor jedem seiner frommen Ausbrüche ließ er seine Augen umgehn, ob die zuschauenden Leute zahlreich wären.

Das nun fand ich ungebührlich und beschloß, ihn anzureden, wenn er aus der Kirche ginge, und einfach auszufragen, warum er in dieser Weise bete. Denn seit meiner Ankunft in dieser Stadt ging mir Klarheit über alles, wenn ich auch jetzt mich eigentlich nur darüber ärgerte, daß mein Mädchen nicht gekommen war.

Aber erst nach einer Stunde stand er auf, putzte seine Hosen so lange ab, daß ich schon rufen wollte: “Genug, genug, wir alle sehen, daß Sie Hosen haben”, schlug ein ganz sorgfältiges Kreuz und ging zum Weihwasserbecken schwer wie ein Matrose.

Ich stellte mich auf dem Wege zwischen Becken und Türe auf und wußte genau, daß ich ihn nicht ohne Erklärung durchlassen würde. Ich verzerrte meinen Mund, weil das die beste Vorbereitung für bestimmte Reden ist, und stützte mich auf das vorgestreckte rechte Bein, während ich das linke auf der Fußspitze hielt, weil mir das Festigkeit gibt, wie ich oft erfahren habe.

Nun ist es möglich, daß dieser Mensch schon auf mich schielte, als er sich das Weihwasser ins Gesicht spritzte, vielleicht hatte ihn mein Blick schon früher besorgt gemacht, denn jetzt unerwartet rannte er zur Türe und hinaus. Unwillkürlich machte ich noch einen Sprung, um ihn zu halten. Die Glastüre schlug zu. Und als ich gleich nachher aus der Türe trat, konnte ich ihn nicht mehr finden, denn dort gab es einige schmale Gassen und der Verkehr war mannigfaltig.

In den nächsten Tagen blieb er aus, aber das Mädchen kam und betete wieder in dem Winkel einer Seitenkapelle. Sie trug ein schwarzes Kleid, welches auf Schultern und Nacken aus durchsichtigen Spitzen bestand – der Halbmond des Hemdrandes lag unter ihnen – von deren unterem Rande die Seide in einem wohlgeschnittenen Kragen niederhing. Und da das Mädchen kam, vergaß ich gern an jenen Menschen und kümmerte mich anfangs selbst dann nicht mehr um ihn, als er später wieder regelmäßig kam und nach seiner Gewohnheit betete.

Aber immer ging er mit plötzlicher Eile an mir vorüber, mit abgewandtem Gesicht. Dagegen schaute er beim Beten viel auf mich. Es sah fast aus, als sei er böse auf mich, weil ich ihn damals nicht angesprochen hatte, und als meine er, durch jenen Versuch, ihn anzureden, hätte ich die Pflicht auf mich genommen, es endlich auch wirklich zu tun. Und als ich nach einer Predigt immer jenem Mädchen folgend im Halbdunkel mit ihm zusammenstieß, glaubte ich, ihn lächeln zu sehn.

Eine solche Pflicht ihn anzureden, bestand natürlich nicht, aber ich hatte kaum mehr ein Verlangen danach, ihn anzureden. Selbst als ich einmal auf dem Kirchplatz laufend ankam, während die Uhr schon sieben schlug, das Mädchen also längst nicht mehr in der Kirche war und nur jener Mensch vor dem Geländer des Altars sich abarbeitete, zögerte ich noch.

Endlich glitt ich auf den Fußspitzen zum Türgang, gab dem blinden Bettler, der dort saß, eine Münze und drückte mich neben ihn hinter den geöffneten Türflügel. Dort freute ich mich etwa eine halbe Stunde lang auf die Überraschung, die ich dem Beter bereiten wollte. Das hielt aber nicht an. Bald ließ ich nur noch sehr verdrießlich die Spinnen über meine Kleider kriechen und es war lästig, daß ich mich jedesmal vorbeugen mußte, wenn immer noch einer lautatmend aus dem Dunkel der Kirche trat.

Da kam er auch. Das Läuten der großen Glocken, das vor einem Weilchen eingesetzt hatte, tat ihm nicht gut, wie ich merkte. Er mußte mit den Fußspitzen zuerst leichthin den Boden betasten, ehe er eigentlich auftrat.

Ich stand auf, machte einen großen Schritt und hielt ihn schon. “Guten Abend”, sagte ich und stieß ihn, meine Hand an seinem Kragen, die Stufen hinunter auf den beleuchteten Platz.

Als wir unten waren, drehte er sich zu mir um, während ich ihn immer noch hinten hielt, so daß wir jetzt Brust an Brust standen. “Wenn Sie mich nur hinten loslassen würden!” sagte er. “Ich weiß ja nicht, in welchem Verdachte Sie mich haben, aber unschuldig bin ich.” Dann wiederholte er noch einmal: “Ich weiß natürlich nicht, in welchem Verdachte Sie mich haben.”

“Hier kann ja weder von Verdacht noch von Unschuld die Rede sein. Ich bitte Sie, davon nicht mehr zu reden. Wir sind einander fremd, unsere Bekanntschaft ist nicht älter als die Kirchentreppe hoch ist. Wohin kämen wir, wenn wir gleich von unserer Unschuld zu reden anfingen.”

“Ganz meine Meinung”, sagte er. “Im übrigen sagten Sie ‚unsere Unschuld‘, meinten Sie damit, daß Sie, wenn ich meine Unschuld nachgewiesen hätte, ebenso die Ihrige nachweisen müßten? Meinten Sie das?”

“Entweder das oder etwas anderes”, sagte ich. “Angesprochen aber habe ich Sie nur deshalb, weil ich Sie etwas fragen wollte, merken Sie sich das!”

“Ich möchte gern nach Hause gehen”, sagte er und machte eine schwache Wendung.

“Das glaube ich. Hätte ich Sie denn sonst angesprochen? Sie dürfen nicht glauben, daß ich Sie um Ihrer schönen Augen willen angesprochen habe.”

“Ob Sie nicht zu aufrichtig sind? Wie?”

“Muß ich Ihnen noch einmal sagen, daß hier von solchen Dingen nicht die Rede ist? Was soll hier Aufrichtigkeit oder Nichtaufrichtigkeit? Ich frage, Sie antworten und dann adieu. Dann können Sie meinetwegen auch nach Hause und so schnell Sie wollen.”

“Wäre es nicht besser, wir kämen ein nächstes Mal zusammen? Zu gelegener Zeit? In einem Kaffeehaus vielleicht? Überdies ist Ihr Fräulein Braut erst vor ein paar Minuten weggegangen, Sie könnten Sie noch gut einholen, sie hat so lange gewartet.”

“Nein”, schrie ich in den Lärm der vorüberfahrenden Straßenbahn. “Sie entkommen mir nicht. Sie gefallen mir immer besser. Sie sind ein Glücksfang. Ich beglückwünsche mich.”

Da sagte er: “Ach Gott, Sie haben, wie man sagt, ein gesundes Herz und einen Kopf aus einem Block. Sie nennen mich einen Glücksfang, wie glücklich müssen Sie sein! Denn mein Unglück ist ein schwankendes Unglück und berührt man es, so fällt es auf den Frager. Und deshalb: Gute Nacht.”

“Schön”, sagte ich, überraschte ihn und faßte seine rechte Hand.

“Antworten Sie nicht freiwillig, werde ich Sie zwingen. Ich werde Ihnen folgen, rechts und links, wohin Sie gehen, auch die Treppe zu Ihrem Zimmer hinauf und in Ihrem Zimmer werde ich mich setzen, wo Platz sein wird. Ganz gewiß, schauen Sie mich nur an, ich halte es schon aus. Wie aber werden Sie –”, ich trat ganz zu ihm und weil er um einen Kopf größer war als ich, redete ich in seinen Hals hinein, “– wie aber werden Sie den Mut aufbringen, mich daran zu hindern?”

Da küßte er zurücktretend abwechselnd meine beiden Hände und machte sie mit Tränen naß. “Ihnen kann man nichts verweigern. Ebenso wie Sie wußten, daß ich gern nach Hause ginge, wußte ich schon früher, daß ich Ihnen nichts verweigern kann. Nur bitte ich, gehen wir lieber in die Seitengasse drüben.” Ich nickte und wir gingen hin. Als uns ein Wagen trennte und ich zurückblieb, winkte er mir mit beiden Händen, damit ich mich beeile.

Dort aber begnügte er sich nicht mit dem Dunkel der Gasse, in der Laternen nur weit voneinander und fast bis in der Höhe der ersten Stockwerke angebracht waren, sondern er führte mich in den niedrigen Flurgang eines alten Hauses unter ein Lämpchen, das vor der Holztreppe tropfend hing.

Über die Mulde einer eingetretenen Stufe breitete er sein Taschentuch und lud mich zum Sitzen ein: “Sitzend können Sie besser fragen, ich bleibe stehen, da kann ich besser antworten. Aber nicht quälen!”

Ich setzte mich, weil er die Sache so ernst nahm, mußte aber doch sagen: “Sie führen mich in dieses Loch, als wären wir Verschwörer, während ich mit Ihnen nur durch Neugier, Sie mit mir nur durch Angst verbunden sind. Im Grunde will ich Sie ja nur fragen, warum Sie in der Kirche so beten. Wie benehmen Sie sich dort! Wie ein vollkommener Narr! Wie lächerlich ist das, wie unangenehm den Zuschauern und den Frommen unerträglich!”

Er hatte seinen Körper an die Mauer gepreßt, nur den Kopf bewegte er frei in der Luft. “Nichts als Irrtum, denn die Frommen halten mein Benehmen für natürlich und die übrigen halten es für fromm.”

“Mein Ärger ist eine Widerlegung dessen.”

“Ihr Ärger – angenommen, daß es ein wirklicher Ärger ist – beweist nur, daß Sie weder zu den Frommen, noch zu den Übrigen gehören.”

“Sie haben recht, es war ein wenig übertrieben, wenn ich sagte, Ihr Benehmen habe mich geärgert; nein, etwas neugierig hat es mich gemacht, wie ich anfangs richtig gesagt habe. Aber Sie, zu wem gehören Sie?”

“Ach, mir macht es nur Spaß, von den Leuten angeschaut zu werden, sozusagen von Zeit zu Zeit einen Schatten auf den Altar zu werfen.”

“Spaß?” fragte ich und mein Gesicht zog sich zusammen. “Nein, wenn Sie es wissen wollen. Seien Sie mir nicht böse, daß ich es falsch ausgedrückt habe. Nicht Spaß, Bedürfnis ist es für mich; Bedürfnis, von diesen Blicken mich für eine kleine Stunde festhämmern zu lassen, während die ganze Stadt um mich herum –.”

“Was sagt Ihr da”, rief ich viel zu laut für die kleine Bemerkung und den niedrigen Gang, aber ich fürchtete mich dann zu verstummen oder die Stimme zu schwächen, “wirklich, was sagt Ihr da. Jetzt merke ich bei Gott, daß ich von allem Anfang an ahnte, in welchem Zustande Ihr seid. Ist es nicht dieses Fieber, diese Seekrankheit auf festem Lande, eine Art Aussatz? Ist Euch nicht so, daß Ihr vor lauter Hitze mit den wahrhaftigen Namen der Dinge Euch nicht begnügen könnt, davon nicht satt werdet und über sie jetzt in einer einzigen Eile zufällige Namen schüttet. Nur schnell, nur schnell! Aber kaum seid Ihr von ihnen weggelaufen, habt Ihr wieder ihre Namen vergessen. Die Pappel in den Feldern, die Ihr den ‚Turm von Babel‘ genannt habt, denn Ihr wolltet nicht wissen, daß es eine Pappel war, schaukelt wieder namenlos und Ihr müßt sie nennen: ‚Noah, wie er betrunken war‘.”

Er unterbrach mich: “Ich bin froh, daß ich das, was Ihr sagtet, nicht verstanden habe.”

Aufgeregt sagte ich rasch: “Dadurch, daß Ihr darüber froh seid, zeigt Ihr, daß Ihr es verstanden habt.”

“Sagte ich es nicht schon? Euch kann man nichts verweigern.”

Ich legte meine Hände auf eine obere Stufe, lehnte mich zurück und fragte in dieser fast unangreifbaren Haltung, welche die letzte Rettung der Ringkämpfer ist: “Verzeiht, aber das ist Unaufrichtigkeit, wenn Ihr eine Erklärung, die ich Euch gebe, auf mich zurückwerfet.”

Daraufhin wurde er mutig. Er legte die Hände ineinander, um seinem Körper eine Einheit zu geben, und sagte unter leichtem Widerstreben: “Streitigkeiten über Aufrichtigkeit habet Ihr gleich anfangs ausgeschlossen. Und wirklich, mich kümmert nichts anderes mehr, als Euch meine Art zu beten ganz verständlich zu machen. Wisset Ihr also, warum ich so bete?”

Er prüfte mich. Nein, ich wußte es nicht und ich wollte es auch nicht wissen. Ich hatte ja auch nicht hierher kommen wollen, sagte ich mir damals, aber dieser Mensch hatte mich geradezu gezwungen, ihm zuzuhören. Ich brauchte also bloß meinen Kopf zu schütteln und alles war gut, aber gerade das konnte ich im Augenblick nicht.

Der Mensch mir gegenüber lächelte. Dann duckte er sich auf seine Knie nieder und erzählte mit schläfriger Grimasse: “Jetzt endlich kann ich es Ihnen auch verraten, warum ich mich von Ihnen habe ansprechen lassen. Aus Neugierde, aus Hoffnung. Ihr Blick tröstet mich schon eine lange Zeit. Und ich hoffe von Ihnen zu erfahren, wie es sich mit den Dingen eigentlich verhält, die um mich wie ein Schneefall versinken, während vor andern schon ein kleines Schnapsglas auf dem Tisch fest wie ein Denkmal steht.”

Da ich schwieg und nur eine unwillkürliche Zuckung mein Gesicht durchfuhr, fragte er: “Sie glauben nicht daran, daß es andern Leuten so geht? Wirklich nicht? Ach hören Sie doch! Als ich, ein kleines Kind, nach einem kurzen Mittagsschlaf die Augen öffnete, hörte ich, meines Lebens noch nicht ganz sicher, meine Mutter in natürlichem Ton vom Balkon hinunterfragen: ‚Was machen Sie meine Liebe? Ist das aber eine Hitze!‘ Eine Frau antwortete aus dem Garten: ‚Ich jause so im Grünen.‘ Sie sagten es ohne Nachdenken und nicht besonders deutlich, als hätte jene Frau die Frage, meine Mutter die Antwort erwartet.”

Ich glaubte, ich sei gefragt, daher griff ich in die hintere Hosentasche und tat, als suchte ich dort etwas. Aber ich suchte nichts, sondern ich wollte nur meinen Anblick verändern, um meine Teilnahme am Gespräch zu zeigen. Dabei sagte ich, daß dieser Vorfall überaus merkwürdig sei und daß ich ihn keineswegs begreife. Ich fügte auch hinzu, daß ich an dessen Wahrheit nicht glaube und daß er zu einem bestimmten Zweck, den ich gerade nicht durchschaue, erfunden sein müsse. Dann schloß ich die Augen, um das schlechte Licht los zu werden.

“Seht doch nur, faßt Mut, da seid Ihr zum Beispiel einmal meiner Meinung und aus Uneigennützigkeit habt Ihr mich angehalten, mir das zu sagen. Ich verliere eine Hoffnung und bekomme eine andere.

Nicht wahr, warum sollte ich mich schämen, daß ich nicht aufrecht und in Schritten gehe, nicht mit dem Stock auf das Pflaster schlage und nicht die Kleider der Leute streife, welche laut vorübergehen. Sollte ich nicht vielmehr mit Recht trotzig klagen dürfen, daß ich als Schatten ohne rechte Grenzen die Häuser entlang hüpfe, manchmal in den Scheiben der Auslagefenster verschwindend.

Was sind das für Tage, die ich verbringe! Warum ist alles so schlecht gebaut, so daß bisweilen hohe Häuser einstürzen, ohne daß man einen äußern Grund finden könnte. Ich klettere dann über die Schutthaufen und frage jeden, dem ich begegne: ‚Wie konnte das nur geschehen! In unserer Stadt – ein neues Haus – das wievielte ist es heute schon! – bedenken Sie doch‘. Dann kann mir keiner antworten.

Oft fallen Menschen auf der Gasse und bleiben tot liegen. Da öffnen alle Geschäftsleute ihre mit Waren verhangenen Türen, kommen gelenkig herbei, schaffen den Toten in ein Haus, kehren zurück, Lächeln um Mund und Augen, und das Gerede fängt an: ‚Guten Tag – der Himmel ist blaß – ich verkaufe viele Kopftücher – ja, der Krieg.‘ Ich eile ins Haus, und nachdem ich mehrere Male die Hand mit dem gebogenen Finger furchtsam gehoben habe, klopfe ich endlich an das Fensterchen des Hausmeisters: ‚Guten Morgen‘, sage ich, ‚mir ist, als wäre vor kurzem ein toter Mensch zu Ihnen gebracht worden. Wären Sie nicht so freundlich, mir ihn zu zeigen?‘ Und da er den Kopf schüttelt, als könne er sich nicht entschließen, füge ich hinzu: ‚Nehmen Sie sich in acht! Ich bin Geheimpolizist und will sofort den Toten sehn.‘ Jetzt ist er nicht mehr unentschlossen: ‚Hinaus!‘ schreit er. ‚Gewöhnt sich dieses Gesindel schon daran, hier jeden Tag herumzukriechen! Hier ist kein Toter, vielleicht im Nebenhaus.‘ Ich grüße und gehe.

Dann aber, wenn ich einen großen Platz zu durchqueren habe, vergesse ich alles. Wenn man schon so große Plätze aus Übermut baut, warum baut man nicht auch ein Geländer quer über den Platz? Heute bläst einmal ein Südwestwind. Die Spitze des Rathausturmes macht kleine Kreise. Alle Fensterscheiben lärmen und die Laternenpfähle biegen sich wie Bambus. Der Mantel der heiligen Maria auf der Säule windet sich und die Luft reißt an ihm. Sieht es denn niemand? Die Herren und Damen, die auf den Steinen gehen sollten, schweben. Wenn der Wind einhält, bleiben sie stehen, sagen einige Worte zueinander und verneigen sich grüßend, stößt er aber wieder, können sie ihm nicht widerstehen und alle heben gleichzeitig ihre Füße. Zwar müssen sie fest ihre Hüte halten, aber sie machen lustige Augen und haben an der Witterung nicht das geringste auszusetzen. Nur ich fürchte mich.”

Daraufhin konnte ich sagen: “Die Geschichte, die Sie früher erzählt haben von Ihrer Frau Mutter und der Frau im Garten, finde ich eigentlich gar nicht merkwürdig. Nicht nur, daß ich viele derartige Geschichten gehört und erlebt habe, ich habe sogar selbst bei manchen mitgewirkt. Diese Sache ist doch ganz natürlich. Meinen Sie denn wirklich, ich hätte, wenn ich im Sommer auf jenem Balkon gewesen wäre, nicht dasselbe fragen und aus dem Garten dasselbe antworten können? Ein so gewöhnlicher Vorfall!”

Als ich das gesagt hatte, schien er endlich beruhigt. Er sagte, daß ich hübsch gekleidet sei und daß ihm meine Halsbinde sehr gefalle. Und was für eine feine Haut ich hätte. Und Geständnisse würden am klarsten, wenn man sie widerriefe.

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