Interpretation "Minna von Barnhelm" von Gotthold Ephraim Lessing (Seite 2)

Um Tellheim von diesem Übel zu heilen, ihm eine Lektion zu erteilen, inszeniert Minna die 'Ring-Intrige'. Als sie ihm vorgaukelt, dass sie durch seine Schuld ebenso mittellos, ebenso entehrt sei wie er, ändert er sofort seine Meinung und trägt ihr seine Hand an; von seinem eigenen Argument, mit dem er die Hilfe Minnas und ihre Heiratspläne ausgeschlagen hat, will er nichts mehr wissen:

"DAS FRÄULEIN: [...] So soll ich, so muß ich in meinen eigenen Augen verächtlich werden? Nimmermehr! Es ist eine nichtswürdige Kreatur, die sich nicht schämet, ihr ganzes Glück der blinden Zärtlichkeit eines Mannes zu verdanken!
V. TELLHEIM: Falsch, grundfalsch!
DAS FRÄULEIN: Wollen Sie es wagen, Ihre eigene Rede in meinem Munde zu schelten?"

Tellheim findet durch die Intrige wieder zu sich selbst: "Ärgernis und verbissene Wut hatten meine ganze Seele umnebelt; die Liebe selbst in dem vollesten Glanze des Glückes konnte sich darin nicht Tag schaffen. Aber sie sendet ihre Tochter, das Mitleid, die, mit dem finstern Schmerze vertrauter, die Nebel zerstreuet und alle Zugänge meiner Seele den Eindrücken der Zärtlichkeit wiederum öffnet."

Tellheims Verbitterung wird durch das Mitleid – für Lessing die zentrale Kategorie des bürgerlichen Dramas – aufgebrochen; er selbst kehrt zurück in die Gemeinschaft ihm wohlgesonnener Freunde.

Unabhängig davon erscheint die Rehabilitation durch den König, die zwar zum versöhnlichen Ende des Stücks beiträgt, keinen Anteil aber am menschlichen Läuterungsprozeß Tellheims hat. Die Komödie vom Soldatenglück ist somit, wie Georg Lukács anmerkt, "das Aufklärungsmärchen vom notwendigen Endsieg einer zur Anmut gewordenen Vernunft, die tiefste Schicht von Lessings Weltanschauung, die bei Anerkennung der Wahrheit aller Dissonanzen in der Wirklichkeit unerschütterbar von der letzthinnigen Harmonie der Welt überzeugt war und in allen Mißgeschicken überzeugt blieb."

Seiten