Interpretation "Die Buddenbrooks" von Thomas Mann (Seite 2)

Stilistisch hat Thomas Mann sich beim Bau seines Romans an der Leitmotivtechnik Richard Wagners orientiert. Auffällig ist etwa, dass die Hände fast aller Romanfiguren beschrieben werden. Die geschäftstüchtigen Familienmitglieder haben Hände mit kurzen Fingern, die zum Musizieren nicht geeignet sind, während Gerda sich im Gespräch mit dem Klavierlehrer Pfühl wohl eher auf die feingliedrigen Hände ihres Mannes und Hannos bezieht: „Und sie sollen sehen, sie werden ganz gut Erfolg mit ihm haben. Er hat die buddenbrookschen Hände... Die Buddenbrooks können alle Nonen und Dezimen greifen.“ Die Beschaffenheit der Hände scheint mit der künstlerischen Veranlagung der einzelnen Figuren in direktem Zusammenhang zu stehen. Sind die Hände der alten Buddenbrooks noch „ziemlich breit und bürgerlich“, zeigen die Fingernägel von Thomas Buddenbrook ausgerechnet bei der Geschäftsübergabe eine „bläuliche Färbung“, seine Hände eine „frostige Blässe“. Als Firmenleiter wird er längerfristig dementsprechend überfordert sein.

Ebenfalls leitmotivisch eingesetzt ist die Beschreibung der Zähne. Gleich zu Anfang ist die Rede von Thomas Buddenbrook: „Seine Zähne waren nicht besonders schön, sondern klein und gelblich.“ Wie sich später herausstellt, ist die Stelle ein Vorgriff auf den eigentümlichen Tod Thomas Buddenbrooks, der tatsächlich im Alter von nur 48 Jahren an einem faulen Zahn verstirbt. Noch weniger lebensfähig ist Hanno Buddenbrook, der schon als Kleinkind das Zahnen nur knapp überlebt. Schlechte Zähne, „weich und verletzlich“, hat er von seinem Vater vererbt bekommen, und ebenso die frühe Sterblichkeit: Hanno wird gerade einmal 16 Jahre alt. Während das Motiv der Hände also auf die künstlerische Veranlagung der Familienmitglieder hinweist, geht es bei den Zähnen um Leben und Tod. Thomas Buddenbrook unterdrückt seine Neigungen und nimmt damit nicht nur sich selbst den Lebenskraft – er vererbt die Todessehnsucht in verstärkter Form auf seinen Sohn und besiegelt damit endgültig den Verfall einer Familie.

Seiten