Ungekürztes Werk "Mozart auf der Reise nach Prag" von Eduard Mörike (Seite 59)

hübsch auf der öden, verhenkerten Heide herum, ungefähr da, wo ihm vor drei Stunden zum erstenmal das Trumm verloren ging.

Sie fragen, meine Wertesten, wie mir bei dieser Entdeckung zumute gewesen? Je nun, ich dachte, jetzt säßest du besser daheim bei deiner braven Meisterin, wenn sie den Abendsegen liest, meinethalben auch beim Storchenwirt, und Fritz der Färber gäbe die Geschichte preis, wie er Anno 70 im Kniebis verirrte. Allein, wo nun hinaus? Eine bekannte gute Regel ist: wenn einer spürt, es sei ihm angetan, tut er am klügsten, er steckt den Verstand in den Sack und läuft, wie seine Füße mögen. So tat ich auch und fing das frische Kernlied an zu singen: »Seid lustig und fröhlich, ihr Handwerksgesellen!« Es ging jetzt unaufhörlich eben fort. Auf einmal aber schien es hell und immer heller um mich her zu werden, ich sah mich um, da ging der volle Mond sehr herrlich hinter goldnen Buchenwipfeln auf. Von Furcht empfand ich eigentlich nichts mehr, nur selbigem wollt' ich nicht gern zum zweitenmal begegnen. Sooft er mir einfiel, tat ich einen herzhaften Zug aus der Flasche und hub alsbald mit heller Stimme wieder an:

Hamburg, eine große Stadt,

Die sehr viele Werber hat.

Mich hat nicht gereut,

Vielmehr erfreut,

Lübeck zu sehn;

Lübeck, eine alte Stadt,

Welche viel Wahrzeichen hat.

Nun schritt ich über Stoppelfeld. Gottlob, das war doch eine Menschenspur. Aber, Goldschmied, wenn es nun allgemach hinunter und ans Wasser ging' und dir die bleiche Edelfrau ein kühles Bad anwiese?

Dresden in Sachsen,

Wo schöne Mädchen wachsen;

Ich denk' jetzund

Alle Stund'

An Nürnberg und Frankf –

patsch! lag ich auf der Nase. Der Schmerz trieb mir die Tränen in die Augen, mir schwebte ein Fluch auf der Zunge; aber nein –

Augsburg ist ein kunstreicher Ort,

Und zuletzt nach Elsaß fort.

Alsobald mit Gewalt

Geh' ich nach Straßburg.

Es ist eine schwere Pein

Von Jungferen insgemein,

Wenn man alsdann

Nicht herzen kann

Und wieder soll mareschieren fort.

Allmittelst aber nahe an den Rand der Ebene gekommen, bemerkte ich auf gleicher Höhe mit derselben, links hin, wo sie in einem spitzen Vorsprung auslief, nur dreißig Schritt von mir, ein altes, guterhaltenes Gebäude, mehr schmal als breit, mit etlichen Türmchen und hoch gestaffeltem Giebel. Ich konnte nicht mehr zweifeln, wo ich sei. Ganz sachte schlich ich näher. Es schimmerte Licht aus einem verschlossenen Laden des untern Stocks; hier mußte der Hausschneider wohnen. Ein Hund machte Lärm, und sogleich öffnete ein Weib das Fenster.

»Wer ist da?«

»Ein Handwerksgesell, ein verirrter.«

»Welche Profession?«

Ich wagte, eingedenk meiner gefährdeten Person, nicht, die Wahrheit zu sagen. »Ein Schneider!« sagt' ich kleinlaut. Sie schien sich zu bedenken, entfernte sich vom Fenster, und ich bemerkte, daß man drin sehr lebhaft deliberierte; es wisperten mehrere Stimmen zusammen, wobei ich öfter das fatale »Schneider« nur gar zu deutlich unterscheiden konnte.

Jetzt ging die Pforte auf. Der Hausvogt stand bereits im Gang; die Frau hielt auf der Stubenschwelle und hinter ihr ein sehr hübsches Mädchen, welches jedoch auffallend schnell wieder verschwand. Die Ehleute sahen einander an und baten mich, ins Zimmer zu spazieren.

Hier war nun alles gar sauber und reinlich bestellt. Ein Korb mit dürren Bohnen und reifen Haselnüssen, zum Ausmachen bereit,

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