Ungekürztes Werk "Also sprach Zarathustra" von Friedrich Nietzsche (Seite 154)

häßlichsten Menschen der immer noch auf dem Boden lag, den Arm zu dem Esel emporhebend (er gab ihm nämlich Wein zu trinken). Sprich, du Unaussprechlicher, was hast du da gemacht!

Du dünkst mich verwandelt, dein Auge glüht, der Mantel des Erhabenen liegt um deine Häßlichkeit: was tatest du?

Ist es denn wahr, was jene sagen, daß du ihn wieder auferwecktest? Und wozu? War er nicht mit Grund abgetötet und abgetan?

Du selber dünkst mich aufgeweckt: was tatest du? was kehrtest du um? Was bekehrtest du dich? Sprich, du Unaussprechlicher!«

»O Zarathustra«, antwortete der häßlichste Mensch, »du bist ein Schelm!

Ob der noch lebt oder wieder lebt oder gründlich tot ist – wer von uns beiden weiß das am besten? Ich frage dich.

Eins aber weiß ich – von dir selber lernte ich's einst, o Zarathustra: wer am gründlichsten töten will, der lacht.

›Nicht durch Zorn, sondern durch Lachen tötet man‹ – so sprachst du einst. O Zarathustra, du Verborgener, du Vernichter ohne Zorn, du gefährlicher Heiliger – du bist ein Schelm!«

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Da aber geschah es, daß Zarathustra, verwundert über lauter solche Schelmen-Antworten, zur Tür seiner Höhle zurücksprang und, gegen alle seine Gäste gewendet, mit starker Stimme schrie:

»O ihr Schalks-Narren allesamt, ihr Possenreißer! Was verstellt und versteckt ihr euch vor mir!

Wie doch einem jeden von euch das Herz zappelte vor Lust und Bosheit, darob, daß ihr endlich einmal wieder wurdet wie die Kindlein, nämlich fromm –

– daß ihr endlich wieder tatet, wie Kinder tun, nämlich betetet, hände-faltetet und ›lieber Gott‹ sagtet!

Aber nun laßt mir diese Kinderstube, meine eigne Höhle, wo heute alle Kinderei zu Hause ist. Kühlt hier draußen euren heißen Kinder-Übermut und Herzenslärm ab!

Freilich: so ihr nicht werdet wie die Kindlein, so kommt ihr nicht in das Himmelreich. (Und Zarathustra zeigte mit den Händen nach oben.)

Aber wir wollen auch gar nicht ins Himmelreich: Männer sind wir worden – so wollen wir das Erdenreich

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Und noch einmal hob Zarathustra an zu reden. »O meine neuen Freunde«, sprach er – »ihr Wunderlichen, ihr höheren Menschen, wie gut gefallt ihr mir nun –

– seit ihr wieder fröhlich wurdet! Ihr seid wahrlich alle aufgeblüht: mich dünkt, solchen Blumen, wie ihr seid, tun neue Feste not,

– ein kleiner tapferer Unsinn, irgendein Gottesdienst und Eselsfest, irgendein alter fröhlicher Zarathustra-Narr, ein Brausewind, der euch die Seelen hell bläst.

Vergeßt diese Nacht und dieses Eselsfest nicht, ihr höheren Menschen! Das erfandet ihr bei mir, das nehme ich als gutes Wahrzeichen – solcherlei erfinden nur Genesende!

Und feiert ihr es abermals, dieses Eselsfest, tut's euch zuliebe, tut's auch mir zuliebe! Und zu meinem Gedächtnis!«

Also sprach Zarathustra.

Das trunkne Lied

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Inzwischen aber war einer nach dem andern hinausgetreten ins Freie und in die kühle nachdenkliche Nacht; Zarathustra selber aber führte den häßlichsten Menschen an der Hand, daß er ihm seine Nacht-Welt und den großen runden Mond und die silbernen Wasserstürze bei seiner Höhle zeige. Da standen sie endlich still beieinander, lauter alte Leute, aber mit einem getrösteten tapferen Herzen und verwundert bei sich, daß es ihnen auf Erden so wohl war; die Heimlichkeit der Nacht aber kam ihnen näher

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