Interpretation "Dr. Katzenbergers Badereise" von Jean Paul (Seite 2)

Das Lächeln gefriert dem Leser erst, wenn der skurril-sympathische Doktor die Nachtseite seines Wesens, den skrupellosen Unmenschen hervorkehrt, wenn seine ständige Suche nach Missgestalten, sein Drang, seinem Wissenschaftsideal zu huldigen, buchstäblich über Leichen gehen. Beinahe untröstlich ist er, als er davon abgehalten wird, einer Exekution beizuwohnen. Nur aus Liebe zu seiner Tochter sieht er "von einem lachenden Seitenwege ab, wo ihm ein Galgenvogel als eine gebratne Taube in den Mund geflogen wäre, indem er am Diebe das Henken beobachten, vielleicht einige galvanische Versuche auf der Leiter nachher und zuletzt wohl einen Handel eines artigen Schaugerichts für seine Anatomiertafel hätte machen können. Der Gehenkte wäre dann eine Vorsteckrose an seinem Busen auf der ganzen Reise ins Maulbronner Rosental gewesen."

So meint er, eine weibliche Missgeburt heiraten zu wollen, "wenn sie sonst durchaus nicht wohlfeiler zu haben wäre", und seiner Tochter gesteht er, "da die Sache aus reiner Wissenschaftliebe geschah und ich gerade an der Epistel de monstris schrieb – daß ich an deiner seligen Mutter während ihrer guten Hoffnung eben nicht sehr darauf dachte, aufrechte Tanzbären, Affen oder kleine Schrecken und meine Kabinetts-Pretiosen fern von ihr zu halten, weil sie doch im schlimmsten Falle bloß mit einem monströsen Ehesegen mein Kabinett um ein Stück bereichert hätte."

In Katzenberger kommt in diesen Szenen, wie Günter de Bruyn schreibt, der "spezialisierte Unmensch des nächsten Jahrhunderts" zum Vorschein, sein Reagenzglas-, Taxidermien- und Spirituskabinett nimmt die Experimentierlabors der Konzentrationslager vorweg. Dass Johann Friedrich Meckel, einer der bedeutendsten Anatomen der Zeit, sein 1815 erschienenes Werk über Mißgeburten, De duplicitate monstrosa, Jean Paul widmet und eindringlich für die Figur des Katzenbergers dankt, erscheint dabei nur folgerichtig. Katzenbergers Herz, so schaltet sich der Erzähler ein, "war in dieser Rücksicht vielleicht das Herz manches Genies; wenigstens so etwas von moralischem Leerdarm. Bekanntlich wird dieser immer in Leichen leer gefunden – nicht weil er weniger voll wird, sondern weil er schneller verdaut und fortschafft –; und so gibts Leer-Herzen, welche nichts haben, bloß weil sie nichts behalten, sondern alles zersetzt weitertreiben."

Katzenbergers moralischer Leerdarm, Folge seiner anatomischen wie geistigen Sezierwut, wird allerdings nicht der Anklage unterzogen; der Erzähler liefert eine medizinisch-technische Erklärung und lässt Katzenbergers Badereise zum Triumphzug werden. Grund dafür ist keineswegs eine moralische Indifferenz, sondern eine Einsicht, die der Doktor so formuliert: "Ach, wohl in jedem von uns [...] sind einige Ansätze zu einem Monstrum." Jean Paul hat sehr wohl gewusst, welches beklemmende Gefühl die Lektüre seines Romans hinterlässt; gerade die scheinbar unbeteiligte Haltung seines Erzählers kann nur als Aufforderung an den Leser verstanden werden, sich mit den Ungeheuern im eigenen Innern auseinanderzusetzen.

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