Interpretation "Abschied von den Eltern" von Peter Weiss (Seite 2)

Dieses Verfahren schließt Stilisierungen und Interpretationen des Vergangenen mit ein. So entspricht die Sinnkonstruktion, die die gesamte Erzählung durchzieht, der Rolle des Schriftstellers, der darüber erzählt. „Alle Stadien meiner Entwicklung hatten ihre Bücher", heißt es im Text. Dort findet das Kind die „Folgerichtigkeit" seiner Entwicklung und damit den Zusammenhang zwischen dem Vergangenen und der Gegenwart des Autors: „Ich lernte, daß es unter der Logik eine andere Folgerichtigkeit gab, eine Folgerichtigkeit von undurchschaubaren Impulsen, hier fand ich mein eigenes Wesen, hier im scheinbar Unorganisierten, in einer Welt, die den Gesetzen der äußeren Ordnung nicht entsprach."

Diese Logik, von der Peter Weiss schreibt, ist jedoch keine wissenschaftliche, sondern eine, die den Gesetzen der Narration unterworfen ist. Sie entsteht erst durch das Erzählen des Autors als Autor selbst, der sich so eine eigene Legitimation erschafft. Autobiographische Geschehnisse werden erzählerisch rückblickend in ein Kontinuum eingebunden, wodurch sie ihre Kontingenz verlieren und einen Sinne auf die Gegenwart hin erhalten.

Die Erzählung ist damit mehr als nur ein „Abschied von den Eltern", mehr auch als eine „Wunschbiographie", wie sie von Seiten der Literaturkritik verschiedentlich betitelt wurde. Sie ist der Versuch einer Selbstdefinition der Rolle des Autors in seiner Zeit.

Dr. Gregor Ohlerich

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