Interpretation "Triumph und Tragik des Erasmus von Rotterdam" von Stefan Zweig (Seite 2)

Die vom Autor angedeuteten Parallelen sind im Erasmus kaum zu übersehen: Über die zeitgeschichtlichen Bezüge hinaus scheint sich Zweig mit der von ihm dargestellten Figur zu identifizieren. Wiederholt spricht er von Erasmus’ Intention, eine ‚innere Freiheit’ zu bewahren. – Mit den gleichen Worten stellt er später in seinen Lebenserinnerungen die eigene, seit seiner Jugend bestandene Haltung dar. Das häufige Reisen und die Identifikation mit der europäischen Herkunft sind Eigenschaften, die Zweig in der Erasmus-Biographie an der Titelfigur besonders hervorhebt und die er auch an sich selbst wahrnimmt. Darüber hinaus betont er die ‚Wurzellosigkeit’ des Daseins von Erasmus: ein weiterer Aspekt, den er auch als Charakteristikum seiner eigenen Persönlichkeit betrachtet. Und nicht zuletzt ist Erasmus – ebenso wie Zweig – ein Schriftsteller.

Im Vordergrund der Darstellung Zweigs steht das Verhalten Erasmus’ in Konfrontation mit Martin Luther und dem gewaltsamen Vollzug der Reformation. Erasmus’ Haltung beschreibt Zweig stets als eine beschwichtigende, entstanden aus der Absicht heraus, alle Konflikte vernunftbasiert und friedlich zu regeln, ohne dabei selbst eindeutig Partei zu beziehen. Ebenso skeptisch steht der Autor zeitgenössischen Schriftstellern und Intellektuellen gegenüber, die nach der Flucht vor den Nationalsozialisten aus dem Exil das Hitlerregime offen attackieren. Deren Verhalten betrachtet er als eine Form von Provokation, die nur zu einer Verschärfung der Spannungen führen kann. Er zieht es vor, ebenso wie Erasmus, keine ‚fanatischen’, sondern gemäßigte Maßnahmen in der Opposition gegen die Nationalsozialisten anzuwenden und stattdessen mit den Mitteln eines Schriftstellers Kritik zu üben. Romain Rolland gegenüber klagt er: „Uns bleibt kein anderer Weg, uns Gehör zu verschaffen, als in Symbolen zu schreiben oder zu emigrieren.“ Eindeutig Partei zu ergreifen, wie viele seiner emigrierten Schriftstellerkollegen, vermeidet Zweig um jeden Preis. In der Biographie über Erasmus von Rotterdam fungiert die Hauptfigur insofern als ‚Symbol’ für Frieden und Völkerverständigung – und als Gegenbild zum Fanatismus der Nationalsozialisten. Durch Kritik in Form einer Analogie erreicht Zweig außerdem, dass das Buch in seiner Heimat verlegt und mit Einschränkungen auch noch in Deutschland gelesen werden kann.

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